Wenn ich an Jesu Tod denke, frage ich mich, was sein Leiden und Sterben mit meiner eigenen Trennungsangst zu tun hat – mit dem Schmerz, den ich selbst seit meiner Kindheit kenne.
Dem Schmerz, den schon die Kleinsten in sich tragen – eine Angst, die bei der Trennung von den Eltern in solcher Heftigkeit spürbar wird, dass man meinen könnte: Eine ganze Welt bricht für dieses Kind zusammen.
Gibt es da eine Verbindung? Was mich an Jesus beeindruckt: Er hat sich nicht über diesen Schmerz erhoben und ist ihm nicht ausgewichen. Er ist hineingegangen. Ganz. Mitten hinein in das Dunkel des Verlassenseins am Kreuz. Und er hat es getragen – aus Liebe. Aus Gehorsam wie uns in Lukas 22,24 berichtet wird:
„Jesus betet im Garten Getsemani »Vater, wenn es dein Wille ist, dann lass diesen bitteren Kelch des Leidens an mir vorübergehen. Aber nicht was ich will, sondern was du willst, soll geschehen.« Lukas 22,24
Karfreitag macht mir bewusst: Jesus hat den Trennungsschmerz in seiner Todesangst bewusst in Kauf genommen im Vertrauen auf Gott seinen Vater bewusst Ja dazu gesagt. Das berührt mich. Da gibt es jemanden der mir zeigt wie es sich anfühlt und wie es ist im Vertrauen der Trennungsangst nicht ausweichen zu müssen, sie als einen Teil des menschlichen Lebens akzeptieren zu können. Kurz gesagt Jesus lehrt durch sein Beispiel. Es gibt einen lebensbejahenden auf Hoffnung begründeten Umgang mit der Trennungsangst auch im Angesicht des Todes der letzten Dinge.
Jesus: Der sich der Trennungsangst nicht entzieht
Wir sind noch nicht bei Ostern. Und doch klingt schon etwas von dieser Hoffnung an: Die Trennungsangst hat nicht das letzte Wort. Der Tod auch nicht. In uns Menschen liegt eine tiefe Kraft – die Fähigkeit, mit Vergeblichkeit zu leben. Uns anzupassen. Uns zu wandeln. Dr. Gordon Neufeld nennt dieses menschliche Potenzial die Macht der Adaption. Das heisst durch Vergeblichkeit hindurch sich an das anzupassen was nicht abgewendet oder verändert werden kann. Darüber berichte ich ausführlich in meinem Blogartikel: vom Karfreitag zum Ostersonntag – wie Kinder im Trennungsschmerz Halt finden und innerlich wachsen
Warum Karfreitag mein Herz berührt
Warum Karfreitag mein Lieblingsfeiertag ist
Karfreitag ist – neben Weihnachten – einer meiner Lieblingsfeiertage. Warum?
Weil dieser Tag mich, gemeinsam mit vielen anderen, dazu einlädt, über die letzten Dinge nachzudenken: über Gerechtigkeit, über menschliches Leiden, über unschuldiges Leiden, über den Tod – und über die tiefe Frage:
Warum musste ein Unschuldiger so qualvoll sterben und was hat das alles mit mir, meinem Leben, meiner Trennungsangst zu tun?
Ich bin von Herzen dankbar, dass ich in einem Land leben darf, in dem christliche Feiertage kulturell verankert sind – und dass wir an einem Tag wie diesem innehalten und nachdenken dürfen, warum die Liebe Gottes am Kreuz geendet hat!
Lange war ich der Überzeugung – obwohl ich es nie ganz verstanden habe –, dass Jesus für meine Sünden am Kreuz gestorben ist.
In diesem Artikel möchte ich jedoch nicht über die Herausforderungen sprechen, die eine solche Glaubensüberzeugung mit sich bringt. Darüber habe ich ausführlich in diesem Blogartikel geschrieben: von der kindlichen bindungsbasierten Trennungsangst zur Erbsünde – wie mein Schmerz eine theologische Deutung bekam
Heute möchte ich mit dir gemeinsam über der Frage nachdenken, warum ein unschuldiger Mensch brutal hingerichtet wurde. Warum musste Jesus sterben?
Er hat niemandem geschadet, niemanden angeklagt, aber er hat das aufgedeckt, was kaputt macht –und das was Menschen, Eltern von ihren Kinder voneinander trennt.

Jesus Christus hat durch seine Liebe der Macht der Kontrolle durch das religiösen System geschadet!
Der Tod und seine Macht
Mir geht mir hier nicht nur um den physischen, körperlichen Tod, sondern um den Tod in Form von Trennung – um Trennungsstrafen in der Erziehung. Wir Eltern wenden Trennungsstrafen an und meinen, mit dieser Art der Kontrolle Macht über das Verhalten unseres Kindes zu erlangen. Wir tun das nicht aus Bosheit, sondern oft aus Unwissenheit, aus Gewohnheit oder Überforderung.
Aus meiner Erfahrung hat Trennungsangst immer einen Beigeschmack von Tod. Das Androhen einer Trennung im Rahmen von Erziehungsmassnahmen löst bei einem Kleinkind meist Panik aus. Der Trennungsschmerz ist heftig, weil die Verbindung zur Bezugsperson für ein kleines Kind lebenswichtig ist und mit einer Drohung in Frage gestellt wird.
Mit dem Androhen von Trennung (durch Strafe, Ablehnung oder Liebesentzug) meine ich nicht nur das tatsächliche Weggehen, sondern auch die subtile Botschaft, dass das Verhalten des Kindes den Eltern missfällt . So erleben Kinder, dass ihr Verhalten Einfluss auf die Zuwendung der Eltern hat.
Mein Wendepunkt: Vertrauen statt Angst
Ich erinnere mich an eine Situation, die mir immer noch sehr klar vor Augen steht. Unser kleines Kind lag auf dem Boden, schaute mich mit panischen Augen an und sagte: „Mami, kein Fuditäsch.“ Bis zu diesem Moment war es für uns eine gewohnte Praxis, das Verhalten unseres Kindes regelmäßig mit dem sogenannten ‚Fuditäsch‘ zu disziplinieren. Wir waren mehr damit beschäftigt, das Verhalten zu kontrollieren, als zu verstehen, warum und aus welcher inneren Unreife unser Kind auf bestimmte Situationen reagierte.
In diesem Moment, als unser Kind vor mir auf dem Boden lag, mit Panik in den Augen und sagte: „Mami, kein Fuditäsch“, wurde mir tief bewusst: Ich will nicht, dass mein Kind Angst vor mir hat. Von da an habe ich es nie wieder körperlich bestraft. Ich entschied mich für Beziehung – für Vertrauen statt Kontrolle, für Nähe statt Angst. Ich wollte meinem Kind keine Trennungsangst mehr zumuten – und dem Tod keine Macht mehr durch Trennungsangst geben.
Wenn wir dem Tod Macht über die Verletzlichkeit und Unreife des Kleinkindes geben – indem wir Kontrolle und Manipulation einsetzen, um Verhalten zu lenken, statt mit Liebe und Annahme zu begegnen –, dann säen wir Eltern Trennung.
Der Tod wird im Leben eines Kleinkindes zu einer Macht, die es in Angst und Schmerz gefangen hält – und dadurch eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung behindert. Denn der kindliche Organismus bleibt im Überlebensmodus stecken. Und wir wissen: Angst blockiert. Sie wird so zum Nährboden für Anpassung, Scheinheiligkeit, Scheinpersönlichkeit – und all das, was wir später im Erwachsenenalter vielleicht als Laster oder sogar als Sünde bezeichnen oder in diversen Krankheiten und anderen Problemen sichtbar werden kann.
So ist es auch mir ergangen – darüber berichte ich ausführlich in meinem Blogartikel: Von der kindlichen bindungsbasierten Trennungsangst zur Erbsünde wie mein Schmerz eine theologische Deutung bekam
Der wahre Tod ist nicht nur das physische Ende, sondern die Trennung, die er durch kontrollierende Erziehungsmassnahmen in der Eltern-Kind Beziehung anrichten kann.
Wegen der Liebe getötet – nicht wegen Schuld
Jesus musste wegen seiner Liebe für sein Volk Israel sterben
Mich hat der Satz von ChatGPT berührt: „Jesus ist nicht wegen der Schuld der Menschen gestorben, sondern wurde wegen seiner Liebe für die Menschen getötet.“ Das ist eine andere Perspektive. Eine, die ich im Wort Gottes wiederfinde – zum Beispiel in
Johannes 3,16: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“
Wie verstehe ich das heute? Jesus wurde getötet, weil er geliebt hat. Weil er Menschen nicht verurteilt, sondern in seine Nähe eingeladen hat. Weil er Kranke geheilt, Ausgestossene aufgenommen, Kinder gesegnet und Menschen in ihrer Verletzlichkeit berührt hat. Er hat dabei niemanden beschämt, dominiert oder blossgestellt. Er hat niemandem Bedingungen gestellt, um geliebt zu werden.
„Als aber Jesus es sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen! Wehrt ihnen nicht! Denn solchen gehört das Reich Gottes.“ (Markus 10,14

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid – ich will euch erquicken.“ (Matthäus 11,28)
Eine Liebe, die nicht kontrolliert – sondern einlädt
Diese Einladung gilt auch uns. Wir sind eingeladen, uns dieser geistlichen Nähe zu öffnen, in diese geistliche Beziehung zu treten – nicht als Leistung, sondern als Antwort auf eine Liebe, die schon da ist.
Jesus wurde nicht getötet, weil mit uns Menschen etwas grundlegendes falsch war. Sondern weil seine Liebe zu den Menschen – zu mir, zu dir – so radikal war, dass sie die Ordnung derer erschüttert hat, die lieber Kontrolle als Beziehung wollten. Seine Liebe war gefährlich für Macht, für Manipulation, für religiöse Systeme. Gott weiss, dass der Mensch nur in echter Beziehung reifen kann. Und Liebe, wie Jesus sie lebt, befreit aus Kontrolle. Sie manipuliert nicht. Sie bindet nicht durch Angst, sondern öffnet einen Raum, in dem der Mensch menschlich verletzlich sein darf um in das Bild Jesu hinein reifen zu können.
Das bewegt mich. Und es macht mich wach.
Spirituelles Bypassing – wenn Glaube zum Vermeiden wird
Ein persönlicher Wendepunkt
Heute weiss ich: Es war nicht so, dass ich mich meinen Gefühlen meiner Trennungsangst nicht stellen wollte. Es ist mir einfach nie vollständig gelungen. Der Glaube an die Erbsünde stand wie eine Mauer zwischen mir und meiner Trennungsangst – wie eine Erklärung, die alles bereits beantwortet hatte, bevor ich überhaupt fragen durfte.
Diese Vorstellung war für mich lange wie in Stein gemeisselt. Eine Wahrheit, die nicht hinterfragt werden durfte. Und genau das ist es, was man als spirituelles Bypassing bezeichnet: Wenn spirituelle Überzeugungen dazu führen, dass wir uns nicht mehr mit unserem tatsächlichen Schmerz auseinandersetzen. Wenn wir inneres Leid nicht ernst nehmen, weil wir glauben, es sei „von Natur aus“ unsere Schuld.
Ich habe gelernt, dass diese Art von Glaube – so gut gemeint er auch sein mag – uns nicht unbedingt heilt. Im Gegenteil: Er kann uns davon abhalten, die tieferen Beweggründe unserer Trennungsangst zu verstehen und echte Veränderung zu erleben. Für mich war es ein Akt der Befreiung, diesen alten Glaubenssatz zu hinterfragen – und Raum zu schaffen für eine heilende, tragende Beziehung zu mir selbst, zu meinem Kind, meinem Mann zu Jesus Christus und zu anderen Menschen.
Fazit: Wenn Liebe wichtiger wird als Kontrolle – Karfreitag mit Kinderaugen
Karfreitag erinnert mich jedes Jahr aufs Neue daran, dass Trennungsangst nicht das letzte Wort haben muss. Wenn Liebe wichtiger wird als Kontrolle, wenn Vertrauen grösser ist als die Angst, dann verliert der Tod seine Macht – auch in der Erziehung, auch in Beziehungen.
Jesus hat sich der tiefsten Trennung gestellt – und doch ist er darin nicht zerbrochen, sondern hat den Weg der Liebe gewählt. Das bewegt mich zutiefst. Denn auch ich darf mich entscheiden: Für die Beziehung, für Nähe, für Vertrauen. So wie ich es als Mutter getan habe, in dem Moment, als mein Kind mit Angst in den Augen zu mir sagte: „Mami, kein Fuditäsch.“
Karfreitag mit Kinderaugen sehen – das heisst für mich: Die Macht des Todes nicht zu verherrlichen, sondern die Kraft der Liebe in der Beziehung zu meinem Kind ernst zu nehmen. Ihr mehr zu vertrauen denn Kontrolle, Manipulation und Druck. Bindungsruhe zu geben ist die Liebe, die trägt. Die Nähe, die heilt. Und das Vertrauen, das grosse und kleine Menschen wachsen und reifen lässt.
Vielleicht magst du nach dem Lesen noch einen Moment bei dir selbst ankommen und dir folgende Fragen stellen …
- Wann habe ich mich als Kind verlassen gefühlt?
- Wie reagiere ich heute, wenn ich mich unsicher oder verletzt fühle?
- Welche Rolle spielt mein Glaube in meinem Umgang mit Schmerz