Am Anfang dieses Blogartikels steht ein Zitat, mit dem ich meinen letzten Beitrag Teil eins beendet habe. Wenn Bindung Beziehung heilt – wozu noch der Glaube an die Erlösung durch Christus? Denn genau dort, am Ende, bin ich innerlich wieder neu aufgebrochen!
„We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be to arrive where we started
And know the place for the first time.“
– T. S. Eliot
„Wir werden nicht aufhören zu forschen,
Und das Ende all unseres Forschens
Wird sein, dort anzukommen, wo wir begonnen haben,
Und den Ort zum ersten Mal zu erkennen.“
Ich hatte das Gefühl, an den Anfang zurückzukehren – und doch war es nicht mehr derselbe Ort. Etwas hat sich verändert: mein Blick, mein inneres Verstehen, meine Fragen. Was ich in mir erkannt habe, möchte ich mit dir teilen. In diesem zweiten Teil tauche ich tiefer in das Thema „Beziehung heilt“.
Beziehung heilt
Ich glaube, mit dieser Aussage sage ich nichts Neues. Die evidenzbasierte Wissenschaft belegt längst die tiefgreifende Wirkung liebevoll fürsorglicher Beziehungen – zum eigenen Kind, in der Therapie und in menschlichen Beziehungen ganz allgemein. Und doch: Allein sie auszusprechen, hat für mich etwas Heilsames. Beziehung heilt.
Die Beziehung zum eigenen Kind kann – ganz real und tiefgehend – heilend sein. Sie kann alten Herzschmerz berühren und verbinden. Manchmal öffnet sich in ihr ein Raum, in dem ein Schmerz sichtbar wird, der über Generationen weitergetragen wurde – transgenerationaler Schmerz. Wenn Eltern ihr erstes Kind auf die Welt bringen, tragen viele von ihnen eine tiefe Sehnsucht in sich: die Hoffnung, dass die Beziehung zu ihrem Kind unbelastet sein möge. Frei von dem Schmerz, den sie selbst erlebt haben. Frei von Verlustangst, Einsamkeit, Schlägen, Druck, Manipulation – und der Angst, verlassen zu werden.
Viele Eltern können diese diffusen Gefühle kaum in Worte fassen – und doch spüre ich darin oft einen stillen Schrei des Herzens. Einen Ruf nach Heilung. Heilung vom eigenen Beziehungsleiden aus der Kindheit. Denn: Beziehung war damals nicht heilend. Nicht verbindend. Nicht Entwicklungsfördernd. Das, was Schutz, Sicherheit und Geborgenheit hätte geben sollen, wurde zur Bedrohung.
Beziehung heilen ist (auch) eine Methode
Als unser Kind 2008 auf die Welt kam und wir 2010 zum ersten Mal mit der Vertrauenspädagogik in Berührung kamen, war vieles neu für uns Eltern. Ich glaube, damals hörten wir zum ersten Mal bewusst davon, dass die Beziehung zum Kind die Grundlage für eine gesunde Entwicklung ist.
Zu dieser Zeit waren wir – wie viele andere Eltern – noch sehr damit beschäftigt, mit Methoden zu arbeiten. Zum Beispiel mit dem Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Wir glaubten, dass wir mit den richtigen Techniken das Verhalten unseres Kindes gezielt beeinflussen und steuern könnten. Methoden waren wichtig – und es gab sie auch damals schon zuhauf. Wie heute.
2010 war dann auch das Jahr, in dem wir den bindungsbasierten Entwicklungsansatz von Dr. Gordon Neufeld entdeckten. Sein Buch „Unsere Kinder brauchen uns“ habe ich regelrecht verschlungen. Ich war tief berührt. Ich fand mich selbst darin wieder – und spürte etwas, das mein Herz erreicht hat: eine Tiefe, die mir fehlte.
In diesem Buch lernte ich auch den „Tanz der Adaption“ (adaptieren=anpassen) kennen. Ich erwähne das hier, weil er mir so eindrücklich in Erinnerung geblieben ist. Dieser Tanz war für mich wie eine Art Methode. Ich durfte Schritte lernen, bekam ein Handwerkszeug an die Hand. Und genau deshalb spreche ich heute davon, dass „Beziehung heilen“ auch eine Methode sein kann.
Denn: Wenn wir Eltern zum Beispiel Kommunikation, Bindung, Bedürfnisorientiert lernen, fühlt sich das anfangs oft wie eine Methode an. Ganz einfach, weil es für uns neu ist – ungewohnt, manchmal auch fremd in der alltäglichen Umsetzung und doch spüren wir den Hauch von etwas Heiligen das unser Herz berührt und bewegt.

Methoden können wie ein Handwerkzeugkasten sein.
Wenn Beziehung nicht heilt
Wenn wir jedoch zu lange bei einer Methode verweilen, unseren Blick und unser Vertrauen ganz auf sie richten, kann es passieren, dass wir den eigentlichen Fokus verlieren. Wir beginnen, ständig nach neuen Werkzeugen zu suchen, um das Verhalten unseres Kindes zu lenken oder zu verändern. Und dann kann – zum Beispiel – auch ein bindungsbasierter Entwicklungsansatz mit all seinem wertvollen Wissen über Beziehung und Entwicklung zu einer Methode werden.
Wir fokussieren uns plötzlich mehr auf die Umsetzung als auf das Kind selbst. Unsere Aufmerksamkeit gilt der Technik, dem „Wie mache ich es richtig?“ – nicht mehr dem Kind, das uns gerade gegenübersteht.
Das kann anstrengend werden. Viele Eltern starten mit einer Methode – und das ist oft auch ein guter, hilfreicher Einstieg. Und das ist verständlich – wir alle wollen unseren Kindern das Beste geben. Aber irgendwann reicht ein Handwerkszeug allein nicht mehr aus. Wir sind erschöpft. Die Beziehung fühlt sich anstrengend an. Denn echte Beziehung, echte Bindung lässt sich nicht „machen“.
Wir können Bindung nicht herstellen wie ein Produkt.
Beziehung ist nichts, das wir durch Strategien kontrollieren oder garantieren könnten.
Sie will gelebt werden – ehrlich, präsent, im Moment.
Wenn Beziehung heilt
Wenn Eltern-Kind Beziehung wirklich heilen und verbinden soll, braucht sie vor allem eines: unser Mutter- oder Vaterherz. Im letzten Buch des Alten Testaments lesen wir in Maleachi 3,24:
„Er wird das Herz der Eltern den Kindern zuwenden und das Herz der Kinder den Eltern.
Er wird beide miteinander versöhnen, damit ich nicht das ganze Volk vernichten muss, wenn ich komme.“
Diese Stelle berührt mich tief. Sie spricht prophetisch von der heilenden Kraft der Beziehung zwischen den Generationen. Und für mich ist genau das einer der wichtigsten Gründe, warum Eltern-Kind-Beziehungen heilen und gelingen können: Wenn Mütter und Väter ihren Herzensplatz einnehmen. Ihren Platz als fürsorgliche Versorger, als emotionale Heimat, als Orientierung für ihre Kinder.
Ich erinnere mich gut an den Moment, als ich zum ersten Mal wirklich erkannte, wie wichtig ich selbst für mein Kind bin – nicht eine Methode, nicht ein Erziehungsstil, nicht eine perfekte Umgebung. Ich, als Mutter.
Damals zog ich – fast impulsiv – die Anmeldung zur Spielgruppe meines Kindes zurück. Nicht, weil ich Spielgruppen grundsätzlich nicht gut finde. Es war eher ein stiller Protest, ein klares inneres Zeichen an mich selbst: Ich bin wichtig. Meine Präsenz, mein Herz, meine Beziehung sind zentral für die Entwicklung meines Kindes.
Als Reaktion darauf meldete ich mich für eine Ausbildung zur Spielgruppenleiterin an – gedacht als Elternweiterbildung für mich selbst. Eine gewisse Ironie liegt darin: Ein Jahr später begann ich, als Spielgruppenleiterin zu arbeiten. Diese Ausbildung hat mir unglaublich viel gegeben. Ich konnte so vieles davon in den Alltag mit meinem Kind integrieren.
Nach und nach habe ich meinen Platz als Mutter gefunden – nicht als eine Rolle, die ich erfüllen muss, sondern als inneren Standpunkt, als Haltung. Mutter sein bedeutet für mich, Orientierung zu geben. Es bedeutet Hierarchie – nicht im Sinne von Macht, sondern im Sinne von Verantwortung. Ich trage die emotionale Fürsorge. Ich bin präsent. Ich bin da. Es geht in erster Linie um die Sorge um das Kind. Und genau das kann heilend sein – für mein Kind und auch für mich selbst. Es ist als ob etwas in Ordnung kommt. Dies kann die Wunden aus generationenübergreifendem Beziehungsleiden berühren und verwandeln.
Wenn ich mein Mutter sein als sinnerfüllt erlebe, spüre ich darin nicht nur Verantwortung, sondern auch tiefe Freude. Ich darf miterleben, wie mein Kind sich in der Beziehung sicher fühlt, sich entfaltet – ganz im Sinne des bindungsbasierten Entwicklungsansatzes nach Dr. Gordon Neufeld. Bindung wird zur Grundlage, auf der das menschliche Potenzial aufblühen darf.
Und diese gelebte Beziehung – mitten im Alltag, mitten im Unperfekten – trägt heilende Kraft in sich. Es ist ein heiliger Ort weil in diesem Raum Leben entspringt und Entwicklung möglich wird.
Fazit
Liebevolle, fürsorgliche Beziehung heilt – ich schreibe und sage das aus tiefster Herzensüberzeugung.
Ich möchte Eltern ermutigen, ihren ihnen zugedachten Platz einzunehmen – nicht in erster Linie als Dienstleister einer Methode, sondern als lebendige, zugewandte Mutter, als präsenter, verlässlicher Vater. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen oder die perfekte Strategie zu kennen. Es geht darum, da zu sein. Im Herzen verbunden. Im Alltag präsent. Denn genau dort – im echten, manchmal unperfekten unfertigen rohen, aber liebevollen Dasein – geschieht Beziehung. Und genau dort kann Heilung beginnen. Beziehung heilt alte Wunden.
Teil 1: Wenn Bindung Beziehung heilt – wozu noch der Glaube an die Erlösung durch Christus?
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Herzlichst Karin