„Ich habe die Erbsünde als Erklärung für meine inneren zwischenmenschlichen Konflikte und meine Ängste akzeptiert – und sogar als möglichen Ausweg aus meinen bindungs- basierten Ängsten. Doch anstatt mich von meiner schambehafteten Persönlichkeit zu befreien, hat mich diese Sichtweise mit den Jahren nur noch stärker mit Schuld-Schamgefühlen und Selbstvorwürfen beladen. Wie zementiert – mit falscher Hoffnung auf Heilung und Erlösung.“ Karin🤔
Erb- oder Ursünde Die Erbsünde ist ein christliches Konzept, das besagt, dass alle Menschen seit Adam und Eva mit einer grundsätzlichen Trennung von Gott und einer Neigung zur Sünde geboren werden. Sie wird oft als Ursache für menschliches Leid, moralisches Versagen und die Notwendigkeit göttlicher Erlösung betrachtet. In vielen theologischen Traditionen wird die Erbsünde durch die Taufe oder den Glauben an Christus überwunden und man erlangt dadurch Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft.
Reise in die USA: Abenteuer, Identitätssuche und Einsamkeit

USA Florida Boca Raton
Im Herbst 1986 stieg ich als junge Frau, gekleidet in einem leichten, jeansblauen Hosenanzug, in einen Flieger der Swissair am Flughafen Kloten in Zürich, Schweiz. Ich nahm meinen Platz ein und winkte durch das kleine Fenster meinen Eltern zu, die auf der Flughafenplattform standen und beobachteten, wie das Flugzeug vom Boden abhob und irgendwo in der Weite des blauen Himmels Richtung New York verschwand.
Endlich und nach langer Planung befand ich mich auf dem Weg in ein Abenteuer. Nachdem das Flugzeug in New York gelandet war und ich die Einreisebehörde passiert hatte, ging es mit einem Inlandsflug weiter. Es war schon dunkel, als das Flugzeug sicher auf der Rollbahn des Miami Flughafens in Florida landete, meinem Zielort. Wenige Zeit später stand ich im Eingangsbereich des Flughafens mit meinem Gepäck und einem tiefen Gefühl von Ehrfurcht und Einsamkeit. Der Taxifahrer legte mein Gepäck in den Kofferraum und nahm das Papier mit der Adresse des Hotels entgegen.
Der Taxifahrer fuhr los und es war dunkel.
Die Fahrt schien endlos und die Häuser wiederkehrend gleich. Ein Unbehagen ergriff Besitz von mir. Ich fühlte mich unsicher, irgendwie ausgeliefert und misstrauisch. Das Taxi hielt vor einem Hotel. Erleichtert stieg ich aus, zahlte das erste Mal mit US-Dollar, nahm das Gepäck und betrat die Hotelhalle. An der Rezeption nahm ich meinen Zimmerschlüssel entgegen und betrat kurze Zeit später das für eine Woche gebuchte Hotelzimmer.
Ein neues Leben in Miami Beach: Wie ein unerwartetes Angebot meine Einsamkeit beendete
Das Hotel befand sich am nördlichsten Ende des Miami Beach und bot einen spektakulären Blick auf das endlose Meer. Nach einer unruhigen Nacht stand ich am nächsten Morgen am Fenster und blickte auf den Ozean hinaus. Die Weite des Meeres spiegelte meine innere Einsamkeit.
Plötzlich riss mich das Klingeln des Telefons aus meinen Gedanken. „Hallo?“, sagte ich vorsichtig. Überrascht hörte ich Iris‘ Stimme am anderen Ende der Leitung. Obwohl ich wusste, dass sie mich bald anrufen würde, hatte ich nicht erwartet, dass es so schnell sein würde. Ich fand es jedoch passend, da ich mich nicht mehr so einsam fühlte. Iris war eine Schweizerin und arbeitete damals als Hauskeeper für einen großen Haushalt zusammen mit ihrem amerikanischen Ehemann. Wir trafen uns am Nachmittag in der Hotellobby und ich lernte sie persönlich kennen. Sie hörte sich meine Geschichte und meinen Wunsch, als Nanny zu arbeiten, am Strand an und versprach, sich so bald wie möglich bei mir zu melden. Wir verabschiedeten uns und ich war gespannt auf ihre Rückmeldung.
Am nächsten Morgen erhielt ich einen Anruf von Iris, die mir erzählte, dass ihr Arbeitgeber nach unserer Verabschiedung bei ihr angerufen hatte. Er fragte, ob sie jemanden kenne, der als Nanny bei einer Familie in Not einspringen könnte.
Und da war ich plötzlich im Spiel🌞
Es fühlte sich fast so an, als ob mein Gott seine Hand im Spiel hatte. Ich nahm das Angebot des unbekannten Dr. Silver an und am nächsten Tag klingelte er erneut an meinem Hotelzimmer. Wir hatten vereinbart, dass er mich abends mit meinem Gepäck abholt und wir gemeinsam zu seiner Familie und seinem Haus fahren. Falls es mir nicht gefallen sollte, bot er mir an, mich zurück ins Hotel zu bringen. Ich stimmte zu und so fuhren wir in einer dunklen Nacht zu seinem Haus in einer ruhigen und schönen Wohngegend. Als ich das Haus betrat und in meinem Zimmer ankam, legte ich mich erschöpft schlafen. Am nächsten Morgen traf ich den Rest der Familie: eine Frau und ein 16 Monate altes Mädchen. Ich fühlte mich sofort wohl und wusste, dass dies mein neues Zuhause für die nächsten Monate sein würde. Es war erstaunlich, dass all dies innerhalb von nur vier Tagen im Herbst 1986 geschehen war.

Nanny in einem amerikanischen Haushalt
Die Arbeit als Nanny gab mir eine Aufgabe, einen strukturierten Alltag. Ich kümmerte mich um das Kleinkind, erledigte den Haushalt – es war ein neuer Rhythmus, der mich für eine Weile ablenkte.
Doch mit der Zeit spürte ich es wieder: Diese leise, nagende Einsamkeit. Selbst wenn ich am Wochenende ab und zu Iris traf, blieb das Gefühl, dass mir etwas Entscheidendes fehlte.
Im Laufe der Zeit machte sich wieder nagende Einsamkeit und Leere in mir bemerkbar.🤔
Eines Abends sass ich mit Frau Silver zusammen und sprach zum ersten Mal offen über meine Einsamkeit. Sie hörten geduldig zu. Nach unserem Gespräch empfand ich mich ein wenig – doch auch erleichtert und verstanden. Schliesslich schlug ich vor, einen Gottesdienst zu besuchen. Obwohl sie selbst jüdischen Glaubens war, wusste sie dass die Nachbarn Christen waren. Neugierig, aber auch mit einer gewissen Hoffnung, nahm ich ihr Angebot an mich bekannt zu machen.
Am darauffolgenden Sonntag sass ich bereits in einer fremden Kirche, umgeben von neuen Gesichtern. Doch bald spürte ich etwas Vertrautes: eine Gemeinschaft, die mir das Gefühl gab, dazuzugehören.

In einer presbyterianische Kirche in Boca Raton fand ich Freunde und eine Art „geistliche“ Heimat. Reformierte Kirchen mit schottischen Wurzeln als presbyterianisch, solche mit Wurzeln auf dem europäischen Festland als reformiert bezeichnet.
Ich nahm regelmässig an kirchlichen Aktivitäten teil. Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben stiess ich jedoch auf eine tiefgreifende Frage, die ich auch schon vorher kannte, die aber nun mehr und mehr in mir drängte. Es war eine Frage, die mich seit meiner Kindheit beschäftigte, und ich hatte das Gefühl, dass ich in einem Umfeld war, in dem diese Frage endlich beantwortet werden konnte.
Matthäus 7,22+23: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weit von mir ihr Übeltäter.“
Schon als Kind hatte mir eine liebe Kinderstundentante eine Bibel geschenkt, und eines der Kapitel, das mich besonders beschäftigte, war Matthäus 7. Es drückte meine Ängste und Unsicherheiten aus. Ich fragte mich immer wieder, ob auch Jesus Christus eines Tages zu mir sagen würde: „Weiche von mir, ich kenne dich nicht!“ In meinen Gedanken von damals erkenne ich heute meine unreflektierte bindungsbasierte Trennungsangst.
Während der Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben entwickelte sich vor meinem inneren Auge ein Bild. Ich erlebte mich vor einer unsichtbaren Tür hinter der ein weisser Vorhang hing. Obwohl ich durch diese Tür wollte, fühlte es sich an, als ob eine unsichtbare Kraft mich daran hinderte, hindurchzugehen. Diese Vorstellung liess mich nicht los und ich suchte nach einer Antwort: Was hat das zu bedeuten?
Der Jugendpastor und das Büchlein der Erkenntnis
Zusammen mit einer Freundin beschloss ich, mich mit dem Jugendpastor zu treffen, um diese Frage zu besprechen. Der Pastor hörte mir aufmerksam zu und gab mir am Ende des Gesprächs ein kleines Büchlein.
Erlösung durch das Kreuz: Eine neue Erkenntnis
Noch am selben Abend las ich das Büchlein und fand darin folgende Aussagen:
- Gott liebt dich und hat einen wundervollen Plan für dein Leben (Joh 3,16; Joh 10,10).
- Der Mensch ist sündig und von Gott getrennt, weshalb er die Liebe und den Plan Gottes nicht erkennen kann.
- Jesus Christus ist der einzige Weg für den Menschen, aus der Sünde herauszukommen. Durch ihn können wir die Liebe Gottes und seinen Plan für unser Leben erfahren.
- Wir müssen Jesus Christus persönlich als Erlöser und Herrn annehmen, um Gottes Liebe und seinen Plan zu erkennen.
Es war als ob sich mein Verstand erhellte. Ich fand endlich eine Antwort auf meine Frage, die mich jahrelang quälte und meinte zu verstehen warum Jesus am Kreuz für mich gestorben ist. Ich war überglücklich.
Die einseitige religiöse Überzeugung von der Erbsünde
Doch diese Antwort, so dachte ich damals, bestärkte die theologische Sichtweise, dass meine bindungsbasierten Trennungsangst eine Folge der Erbsünde sei – ein fataler Denkfehler meines Verstandes, der verzweifelt nach Antworten suchte, um mein Nervensystem zu beruhigen. Erst Jahrzehnte später erkannte ich, dass die Verbindung meiner Bindungsspanik mit der Theorie der Erbsünde meine gottgewollte, schöpferische Persönlichkeitsentwicklung durch Schuldgefühle und Ängste blockiert eingestanden, dass ich über Jahre hinweg einem irreführenden Glaubensweg folgte. Deshalb fand ich weder Heilung noch Erlösung für gelingende Beziehungen, sondern war stattdessen ständig im Stress und auf der Suche, gefangen in Botschaften, Ideen und Konzepten.
Ich habe die Erbsünde als Erklärung für meine inneren Bindungs- und Beziehungskonflikte akzeptiert und sie möglicherweise sogar als Lösung für meine übernommenen Ängste betrachtet – ohne zu merken, dass mich diese Sichtweise nicht befreit, sondern meine ohnehin tiefen Scham- und Schuldgefühle noch weiter zementiert haben.

Mein altes Bindungsmuster wurde durch die Lehre der Erbsünde zementiert – gefangen in einer Spirale aus Scham und Angst suchte ich trotz enormer Anstrengung jahrzehntelang vergeblich nach Erlösung und Befreiung.
Wie bin ich aus dieser geistlichen Zementierung, Scham und Verwirrung rausgekommen?
Lange Zeit hielt mich die Vorstellung gefangen, dass meine kindlichen bindungsbasierten Trennungserfahrungen durch den Glauben an die Erbsünde erklärt und erlöst werden könnten. Ich war mir damals nicht bewusst, wie tief diese Sichtweise mich prägte.
Der Wendepunkt kam nicht plötzlich, sondern durch einen langen inneren Prozess.
Dieser Denk- und Erfahrungsschritt führt mich langsam, aber stetig aus dieser geistlichen Zementierung. Die Auseinandersetzung mit dem bindungsbasierten Entwicklungsansatz nach Dr. Gordon Neufeld, die Vertrauens-Pädagogik, Gespräche mit einer Pfarrerin, Traumatherapie, der Austritt aus einer Freikirche, die Geburt meines Kindes, eine Clownsausbildung sowie die Reflexion über Loyalität und Zugehörigkeit – all das spielte eine entscheidende Rolle.
Doch wie genau bin ich diesen Weg gegangen? Was hat mich von falschen Scham- und Schuldgefühlen befreit und erlöst? Es waren viele kleine Meilensteine, die mich schrittweise an den Punkt brachten, an dem ich den Zusammenhang endlich erkannte.
Meine Erfahrung in den USA war dabei besonders prägend. Damals spürte ich mich in einer emotionalen Trennungssituation, fühlte mich unsicher und verloren. In diesem Moment wurde mir die Erklärung der Erbsünde als Antwort auf meine Ängste angeboten. Ich nahm sie an, weil sie mir eine Lösung versprach. Doch aus Unwissenheit und Unreife konnte ich damals nicht hinterfragen, was diese Sichtweise langfristig in mir auslöste.
Erst Jahre später, mit mehr Wissen über kindliche Entwicklung und Bindung, begann ich, meine Erfahrung in den USA im Kontext meiner kindlichen Entwicklung zu verstehen. Ich erkannte, dass Kinder durch bestimmte Erfahrungen sehr schnell in einen Zustand emotionaler Trennung geraten können – sei es durch Verlust, Verlassenwerden oder das Fehlen von Sicherheit und Nähe. Doch statt meine Reaktion auf diesen Verlust als etwas Natürliches zu sehen, wurde mir meine Not mit der Erbsündenlehre erklärt. Diese Sichtweise verstärkte jedoch mit den Jahren meinen Scham, meine Angst und das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmte.
Mein Kind war bereits auf der Welt, als ich an einem Elterntreffen teilnahm, bei dem wir über die Aussage von Heinz Etter sprachen: „Deute nicht die Unreife deines Kleinkindes moralisch.“ Nachdem das Treffen beendet war, fuhr ich mit meinem Kind im Auto nach Hause. An einer roten Ampel mussten wir stehen bleiben. Plötzlich kam der Gedanke in mir auf: „Ich bin ja gar nicht so böse, wie ich immer von mir geglaubt habe.“ Tränen begannen über mein Gesicht zu rollen. In diesem Moment wurde mir klar: Ich bin nicht so schlecht, wie ich es mir immer eingeredet hatte.
Mit dieser einen Erkenntnis begann sich mein inneres Fundament zu verändern. Ich begann zu erahnen, dass es nicht meine „allgemeine Sündhaftigkeit“ war, die mich in den Kreislauf aus Schuld, Scham und Angst führte, sondern ein tief menschlicher entwicklungsbedingter Mechanismus: das Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit. Diese Einsicht war der erste Schritt in meine innere Freiheit und auch der Grund, warum ich diesen Blogartikel schreibe.
Meiner Erfahrung nach entsteht diese Sichtweise nicht aus einer göttlichen Wahrheit, sondern aus menschlichem Not und der körperlichen Sehnsucht nach Entspannung. Menschen, die unter tiefem Schmerz oder schweren Erfahrungen leiden, suchen nach Erklärungen für ihr Leiden. Oft finden sie in der Erbsündenlehre eine Antwort. Doch diese Antwort bringt keine wirkliche Befreiung, sondern hält sie in ihrer Verachtung für sich selbst und ihre Menschlichkeit gefangen. Sich selbst zu verachten ist kein Zeugnis des Glaubens an Jesus Christus. Vielmehr ist es ein Ausdruck von Angst und Misstrauen, der uns in Abhängigkeit und Kontrolle hält. Diese Sichtweise führt zu einem falschen Bild von Nachfolge, Heilung und Erlösung.
Wenn du dich in meiner Geschichte wiedererkennst und du von dieser Sichtweise betroffen bist, lass dir sagen: Du bist nicht allein. Es gibt einen besseren Weg, der dich zu wahrer Freiheit und Heilung führen kann.
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