Als Entwicklungspädagogin unterstütze ich Eltern darin, ihr Potenzial in der Begleitung ihrer Kleinkinder zu erkennen – besonders in herausfordernden Momenten wie Trennungserfahrungen. Ich lade dazu ein, auf die Kraft und heilsame Wirkung von Tränen und Trauer zu vertrauen.
Eine Trennungserfahrung muss nicht immer ein grosser Abschied sein – sie beginnt oft schon im Kleinen: etwa mit einem Nein auf den Wunsch nach einer Süssigkeit oder einem Spielzeug. Jedes betrauerte Nein öffnet dem Kind die Tür zu einer tiefgreifenden emotionalen Fähigkeit: dem Annehmen dessen, was es nicht ändern kann. Aus dieser Erfahrung erwächst nach und nach eine innere Stärke – das leise Wissen: „Ich kann damit leben.“
Es ist wie eine kleine Auferstehung nach einem inneren Sterben: Es lässt Kleinkinder stark werden, schenkt Hoffnung, nährt Vertrauen – und öffnet den Raum, in dem die kindliche Kreativität zu wirken beginnt.
Adaption – also das innere Anpassen an Unabänderliches – ist kein Scheitern, sondern der Weg zu einer reifen und kreativen Persönlichkeit.
Tanz der Adaption nach Dr. Gordon Neufeld
Eine der kraftvollsten Erfahrungen, die ich als Mutter und Pädagogin teilen darf, ist der sogenannte „Tanz der Adaption“, wie ihn der Entwicklungspsychologe Dr. Gordon Neufeld beschreibt. Dieser Tanz eröffnet den Weg zu Resilienz, zu echter innerer Stärke – und zu einer tiefen, gewaltfreien und verbundenen Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem.
Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich diesen Ansatz zum ersten Mal kennenlernte. Er hat mich tief berührt – und zugleich unglaublich ermutigt. Zum ersten Mal konnte ich meinem Kind ein klares Nein sagen, ohne schlechtes Gewissen oder innere Unsicherheit.
Besonders befreiend war für mich die Erkenntnis:
Ein Nein schadet meinem Kind nicht – im Gegenteil.
Kinder brauchen klare, liebevoll formulierte Neins, um sich zu orientieren, um zu reifen – und um zu lernen, mit Frustration umzugehen.
Merksatz: Ein klares Nein ist kein Machtmittel. Es ist ein Liebesdienst.
Diese Einsicht war für mich wie ein inneres Aufatmen. Ich musste mein Kind nicht mehr vor jedem Schmerz bewahren oder alles ermöglichen. Stattdessen durfte ich an seiner Seite bleiben – auch dann, wenn es weinte. Ich durfte den Schmerz halten, trösten, begleiten. Und gerade darin lag eine neue Tiefe unserer Verbindung.
Was ist der Tanz der Adaption?
Der Tanz der Adaption beschreibt den inneren Prozess, durch den ein Kind lernt, mit dem Unabänderlichen umzugehen – ohne dass es dafür Schimpfen, Bestrafung, Manipulation, Kontrolle oder Druck braucht.
Dieser Tanz hat zwei Seiten – wie eine Münze:
- Die Mauer der Vergeblichkeit – Was passiert, wenn ein Kind ein Nein bekommt – und wir es liebevoll begleiten?
- Der Engel des Trostes – Wie du Nähe gibst, wenn dein Kind traurig ist – ohne zu „retten
Beide Seiten gehören zusammen – und in ihrer Verbindung liegt die Kraft.
1. Die Mauer der Vergeblichkeit – liebevolle Klarheit
Kinder brauchen Orientierung. Sie müssen erfahren, dass es Dinge gibt, die sich nicht verändern lassen – auch wenn sie es sich sehr wünschen und dafür alles an Emotionen geben was sie zur Verfügung haben. Diese Erfahrung einer Grenze machen sie zuerst im Kontakt mit uns Erwachsenen.
„Ich darf die Realität klar verkörpern – ohne das Kind abzulehnen.“
Als Mutter, Vater oder Betreuungsperson sagen wir klar und freundlich:
„Nein, es gibt jetzt kein Biskuit.“
„Nein, die Spielgruppe ist vorbei.“
„Nein, du kannst deinen Bruder nicht zwingen, mit dir zu spielen.“
Unsere Kinder spüren ganz genau, ob wir es mit einem Nein wirklich ernst meinen – oder ob da noch eine Chance besteht, uns umzustimmen.
Ich denke dabei an meine eigene Kindheit zurück. Ich wusste ziemlich genau, wann meine Mutter bei einem Nein unsicher war – und wann es sich lohnte, weiter zu betteln oder zu bitten. Ging es dir auch so?
Deshalb ist es so wichtig, bei einem klaren Nein auch wirklich zu bleiben.
Wenn du allerdings nach dem Nein deine eigene Unsicherheit bemerkst, ist es oft ehrlicher, gleich zu sagen:
„Oh, ich habe meine Meinung geändert“ – und dann bewusst ein Ja zu geben.
Wenn Kinder häufig erleben, dass aus einem Nein doch noch ein Ja wird, bringt das Verwirrung. Sie wissen nicht mehr, woran sie sind – und lernen, dass sie nur hartnäckig genug bitten oder protestieren müssen, um ans Ziel zu kommen. Das macht nicht nur sie unsicher – sondern auch die Beziehung und verpasst die Chance zur kindlichen Reifung hin zu einer reifen Persönlichkeit.

Diese „Neins“ sind keine Strafen – sie sind wie Wände, an denen das Kind sich orientieren kann. Es geht nicht darum, das Kind zu kontrollieren, sondern ihm zu helfen, sich in der Welt zurechtzufinden.
2. Der Engel des Trostes – verbunden bleiben trotz Schmerz
Sobald die Nein-Realität beim Kind angekommen ist – oft begleitet von Tränen, Wut oder Verzweiflung – beginnt der zweite Teil des Tanzes: Trost. Nähe. Verbindung.
„Ich bleibe bei dir – auch wenn du frustriert bist, auch wenn du weinst.“
Früher fiel mir genau das schwer. Wie kann man trösten, wenn man gerade „Nein“ gesagt hat?🤔
Heute weiss ich: Gerade dann braucht das Kind uns. Es braucht keine Lösung, sondern Nähe. Kein Argument – sondern Annahme. Kein Druck – sondern einen sicheren Hafen zum trauern.
Ja, das kann sich alles ungewohnt anfühlen. So war es auch bei mir. Am Anfang fühlte es sich nicht echt an – eher mechanisch, fast wie ein Rollenspiel. Doch ich möchte dir Mut machen, es trotzdem auszuprobieren. Dich auf diesen „Tanz der Adaption“ einzulassen.
Für mich war es wie der Anfang mit einem neuen Werkzeug – ein wenig unbeholfen, vorsichtig, unsicher. Und vielleicht ist es das auch wirklich: ein Handwerkszeug für Beziehung.
Aber wie bei jedem Handwerk kannst du auch hier mit der Zeit sicherer werden. Du lernst die Schritte, du übst – und irgendwann wird der Tanz fliessender, harmonischer.
Es wird zu deinem eigenen Tanz – und zu eurem gemeinsamen.
Auch dein Kind lernt. Und irgendwann ist der Umgang mit dem „Nein“ nicht mehr krisenhaft, sondern integriert. Tränen und Trauer dürfen bleiben – aber sie überfordern nicht mehr. Der Schmerz wird nicht mehr zur Bedrohung.
Und genau das ist der Weg zu innerer Stärke:
Von der Verzweiflung zur Akzeptanz.
Von der Trauer zur Hoffnung.
Von Karfreitag zu Ostern.
Auch Jesus selbst ist diesen Weg gegangen. Im Garten Gethsemane war er voller Angst, voller Bitte:
Markus 14,35-36
„Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf die Erde und betete, dass, wenn es möglich wäre, die Stunde an ihm vorüberginge. Und er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir – doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“
Diese Worte berühren mich tief. Sie zeigen, wie selbst Jesus in diesem Moment der Vergeblichkeit war – und dennoch vertraute.
Wenn wir unsere Kinder durch Tränen begleiten, ihnen liebevoll Halt geben in der Frustration und trotzdem bei der Grenze bleiben, dann lehren wir sie genau das: Die Fähigkeit, sich dem Unabänderlichen hinzugeben – ohne den inneren Halt zu verlieren.
Zwei Menschen – ein Tanz
In manchen Situationen kann der Tanz auch zu zweit getanzt werden, was entlasten sein kann:
Eine Person stellt liebevoll die Grenze – die andere tröstet. Das kann in der Familie, in der Spielgruppe oder im pädagogischen Alltag sehr entlastend sein.
Warum dieser Tanz Resilienz fördert
Kinder, die erfahren dürfen, dass ihre Frustration Raum haben darf, entwickeln ein tiefes Gefühl von Sicherheit. Sie lernen: Ich darf fühlen. Ich bin nicht allein. Ich werde nicht abgelehnt.
„Wer durch den Trennungsschmerz hindurch begleitet wird, entwickelt Stärke für die Stürme des Lebens.“
Diese Kinder wachsen zu Jugendlichen und Erwachsenen heran, die:
- sich selbst gut regulieren können
- anpassungsfähig sind
- gesunde Beziehungen führen
- mit ihrer Verletzlichkeit umgehen können
- und oft auch eine tiefe, tragende Spiritualität entwickeln

Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass das Verständnis über die entwicklungsfördernden Wirkung von Tränen hilft durch herausfordernde Zeiten zu kommen.
❤️ Mein persönliches Fazit
Ich glaube an Wachstum. An Reifung. An Entwicklung durch Bindung.
Ich glaube daran, dass unsere Kinder nicht „funktionieren“ müssen – sondern sich sicher fühlen dürfen, um zu reifen.
Heute begleite ich Eltern mit ihren Kinder mit offenem Herzen – durch Tränen, Frust, Loslassen und Wieder-Ankommen.
Und ich ermutige dich, diesen Tanz auch zu wagen um selber zu erleben, dass Entwicklung ohne Gewalt möglich ist.
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Deine Karin