In einigen Monaten ist es wieder so weit: Viele Kleinkinder starten in ihr neues Abenteuer Spielgruppe. Die Entscheidung zur Anmeldung wurde aus ganz unterschiedlichen Gründen getroffen – sei es zur Entlastung der Eltern, zur Förderung des Kindes oder einfach, um neue soziale Erfahrungen zu ermöglichen.
Doch mit dem näher rückenden Start tauchen bei vielen Eltern ganz ähnliche Fragen auf:
- Wird es meinem Kind in der Spielgruppe gefallen?
- Wird es überhaupt ohne mich – ohne seine Mutter oder vertraute Bezugsperson – bleiben können?
- Wie lange muss ich mit mein Kind in der Spielgruppe bleiben, bis es mich gehen lässt?
Aus vielen Elterngesprächen weiss ich, dass diese Gedanken und Unsicherheiten in Bezug auf möglichen Trennungsängste und das damit herausfordernde Verhalten ganz natürlich sind. In diesem Artikel möchte ich genau darauf eingehen, Orientierung geben und Mut machen – für Eltern, die die Trennungsängste ihrer Kleinkinder verstehen und begleiten wollen.
Warum Trennungsangst eine normale Phase in der Entwicklung ist
In den ersten Lebensjahren brauchen Kinder vor allem eines: Nähe. Sie wollen ihren Eltern ganz nah sein – nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Diese Verbundenheit schenkt ihnen Sicherheit, Orientierung und Geborgenheit.
Wenn sich ein Kind gegen eine Trennung wehrt, ist das kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil: Es zeigt, wie stark seine Bindung ist. Trennungsangst ist keine Störung, sondern ein gesunder, schöpfungsbedingter Entwicklungsschritt. Sie gehört zum Heranwachsen dazu, weil Kinder auf Nähe angewiesen sind, um innerlich zu reifen. Dr. Gordon Neufeld sagt: „Bindung ist die stärkste Anziehungskraft im Universum.“
Wenn Kinder ihre sechs Bindungswurzeln (nach Dr. Gordon Neufeld) entwickeln, lernen sie, auch in der Abwesenheit ihrer Eltern innerlich mit ihnen verbunden zu bleiben. Sie entwickeln ein tiefes Vertrauen darauf, dass die Beziehung bestehen bleibt – unabhängig davon, ob Vater oder Mutter gerade anwesend sind.
Diese unsichtbaren Bindungswurzeln werden mit der Zeit zu einem sicheren Erfahrungswissen: „Ich bin gehalten und fühle mich sicher bei einer anderen Betreuungsperson – auch wenn du nicht da bist.“
Ein Vater und seine dreijährige Tochter standen vor einem großen Schritt: dem ersten Tag in der neuen Spielgruppe.
Der Vater war überzeugt, dass er seine Tochter einfach abgeben und gehen könne. Doch als er sich verabschieden wollte, begann das kleine Mädchen zu weinen.
Er wandte sich an mich und sagte:
„Meine Tochter muss hierbleiben und lernen. Wenn ich jetzt nicht gehe, vermittle ich ihr die Botschaft, dass sie mit Weinen alles erreichen kann. Sie wird lernen, mich damit zu manipulieren – gibt man ihr den kleinen Finger, nimmt sie die ganze Hand!“

„Meine Tochter muss hierbleiben und lernen. Wenn ich jetzt nicht gehe, vermittle ich ihr die Botschaft, dass sie mit Weinen alles erreichen kann. Sie wird lernen, mich damit zu manipulieren – gibt man ihr den kleinen Finger, nimmt sie die ganze Hand!“
Dieses Beispiel zeigt eine weitverbreitete Haltung: Wir wollen unsere Kinder stark machen, damit sie möglichst früh selbstständig werden. Doch häufig übersehen wir dabei, dass ein Kind gerade dann weint, weil es gebunden ist – nicht, weil es manipuliert.
Auf der anderen Seite kann es leicht passieren, dass wir – wenn wir Trennungsangst nicht richtig verstehen – alles daransetzen, unser Kind um jeden Preis vor dem Schmerz einer Trennung zu bewahren.
Wir machen uns große Sorgen, haben Angst vor dem Weinen, vor dem Schmerz – und geraten dadurch selbst unter starken inneren Druck. Oft führt das dazu, dass wir uns selbst nicht trennen können, auch wenn wir es eigentlich wollen oder sollten.
So ist es auch mir selbst ergangen:
Ich lebte – ohne es zu wissen – aus einer unbewussten, tief sitzenden Trennungsangst heraus, die vermutlich aus meiner eigenen Kindheit und dem späteren Glauben an die Lehre der Erbsünde stammte.
Ich glaubte, mein Kind müsse vor dem Trennungsschmerz bewahrt werden – aus Angst und weil ich dachte, das sei Liebe. Doch heute weiss ich: Trennungsschmerz ist kein Zeichen von Versagen – sondern ein Zeichen von Bindung. Und eine gesunde emotionale Bindung ist die Grundlage für jede gesunde seelische und soziale Entwicklung.
Trennungsangst begleiten statt kontrollieren: Ein einfühlsamer Umgang
„Zu Hause war alles in Ordnung …“
Oft erzählten mir Mütter, dass sie zu Hause ausführlich mit ihrem 3-jährigen Kind gesprochen hatten: Dass es in der Spielgruppe bleiben würde, während die Mama geht. Dass es bitte nicht weinen solle. Manche versprachen dem Kind sogar eine Belohnung, wenn es „brav“ und ohne Tränen in der Spielgruppe bleiben würde.
Und tatsächlich – zu Hause schien alles gut. Das Kind nickte, schien zuzustimmen. Die Mutter hoffnungsvoll! Doch kaum in der Spielgruppe angekommen, begannen beim nahenden Abschied die Tränen zu fliesen.
Ich habe dann oft gesagt: „Zu Hause kann dir das Kind alles versprechen.“
Denn was viele nicht wissen: Kleine Kinder haben noch keine Perspektive auf das, was später passiert. Sie können emotional und kognitiv noch nicht abschätzen, wie sich die Situation in der Trennung tatsächlich anfühlen wird. Für sie ist der Moment des Abschieds eine völlig neue Realität – und auf diese reagieren sie mit echtem Trennungsschmerz nicht mit Trotz oder Ungehorsam.
Merksatz: Trennungsschmerz ist normal und eine gesunde Reaktion
Wenn wir uns entscheiden, unser Kind in die Spielgruppe zu geben und es damit in die Obhut einer Spielgruppenleiterin zu übergeben, die es noch nicht kennt, dann gehört auch die Herausforderung des Trennungsschmerzes mit dazu. So wie wir unser Kind in die Spielgruppe an der Hand haltend begleiten, dürfen – und sollen – wir auch den nahenden Trennungsschmerz in unsere Hand nehmen, ihn halten und trösten.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass unser Kind das Entwicklungspotenzial in sich trägt, sich – durch Tränen und mit Trost – an das anzupassen, was es nicht ändern kann: ein Teil der Spielgruppe zu sein.
Heute ist es üblich, dass Kinder gemeinsam mit ihren Eltern eine sanfte Eingewöhnungszeit durchlaufen. Diese Phase bietet Raum, sich mit der neuen Umgebung, der Spielgruppenleiterin und den anderen Kindern vertraut zu machen. Denn Spielgruppe ist freiwillig – und wenn wir unser Kind dafür anmelden, kommt früher oder später der Moment des Loslassens, an dem Mama oder Papa gehen.
Ich habe immer gesagt: Aus Liebe dürfen wir unseren Kindern auch Tränen zumuten. Dann, wenn eine Vertrauensbasis zur Spielgruppenleiterin entstanden ist, dürfen wir loslassen – im Vertrauen darauf, dass Tränen nicht gefährlich sind, sondern Teil des Anpassungsprozesses. Es ist ein Geschenk, wenn wir unsere Kinder darin begleiten, schwierige Gefühle zu erleben – und zu überwinden. Denn danach können sich die Kinder auf all die spannenden und schönen Augenblicke einlassen, die die Spielgruppe bereithält – sie dürfen sich entfalten, entdecken, spielen und einfach Freude haben. Das ist sozusagen der Lohn für die Mühe – für das Aushalten, Begleiten und Loslassen. 🌞
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Fazit
Trennungsangst ist eine normale und gesunde Reaktion von Kleinkindern. Sie sind in der Entwicklung abhängig und angewiesen auf die Unterstützung und Fürsorge von Eltern und anderen Betreuung Personen. Sie sind Liebes- und Schutzbedürftig. 💞
Herzliche Grüsse
Deine Karin