In der Eltern-Kind-Beziehung spielt Loyalität (ich bin auf und an deiner Seite) eine zentrale Rolle. Laut Dr. Gordon Neufeld folgt die Loyalität der Bindung und ist weder per se gut noch schlecht. Nach seinem bindungsbasierten Entwicklungsansatz ist die dritte Bindungsstufe eines Kindes die Zugehörigkeit und Loyalität.
Während Babys sich im ersten Lebensjahr über ihre Sinne an ihre Bezugsperson binden und im zweiten Lebensjahr beginnen, sie nachzuahmen, um ihr gleich zu sein, entwickeln Kleinkinder im dritten Lebensjahr das Bedürfnis, Besitzansprüche auf alles und jeden zu erheben, mit denen sie eine Bindung haben. Sie sagen stolz: „Das ist meine Mama!“, „Das ist mein Spielzeug!“, „Das ist mein Bruder!“. Diese Phase zeigt, wie tief Loyalität instinktiv in der kindlichen Entwicklung verwurzelt ist.
Kinder fühlen sich durch ihre Besitzansprüche einer Bezugsperson oder einem Gegenstand näher. Diesen Bindungsinstinkt zu verstehen, hilft uns Eltern, das Verhalten von Kleinkindern besser einzuordnen. Wenn wir erkennen, dass diese Besitzansprüche ein Ausdruck tieferer Bindung sind, können wir das Bedürfnis unserer Kinder befriedigen, indem wir sie darin bestärken. Sätze wie „Du bist mein Mädchen, ja, du gehörst zu mir“ geben Kindern Sicherheit. Dabei geht es nicht darum zu sagen: „Du gehörst mir“, sondern vielmehr darum, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln: „Du gehörst für immer und ewig zu mir.“ Auch bei Spielzeug und persönlichem kindlichen Eigentum gilt: „Ja, das Spielzeug gehört dir!.“
Für ein Kind ist es eine wunderbare Erfahrung, zu spüren, wohin und zu wem es gehört und wer und was zu ihm gehört. Dieses Wissen gibt Halt und Sicherheit. Doch wie wir bereits erahnen, hat Loyalität auch ihre Schattenseiten – darauf werden wir in diesem Artikel noch eingehen.
1. Die natürliche Entwicklung der Loyalität
Wie sich Loyalität im frühen Kindesalter zeigt
Nach dem bindungsbasierten Entwicklungsansatz beginnen Kleinkinder ab dem dritten Lebensjahr, Besitzansprüche zu zeigen. Einer Person nahe zu stehen bedeutet, sie als sein Eigen zu betrachten. Das sich bindende Kleinkind wird auf alles und jeden zu dem es eine Bindung hat Besitzansprüche erheben. Sei es Mami, Papi, Geschwister oder ein Spielzeug. Jedes Kind auf der ganzen Welt zeigt dieses Verhalten. Viele Eltern machen sich aus Unwissenheit Sorgen, befürchten ein Fehlverhalten oder deuten das Verhalten moralisch als „böse“. Doch wenn wir verstehen, dass diese Besitzansprüche aus einem natürlichen Bindungsbedürfnis entstehen, können wir uns entspannen.

Wenn wir Kinder von Innen heraus nach ihrem Entwicklungsstand verstehen können wir Eltern mehr entspannen und kreative Bindungs-Lösungen finden.
Besitzansprüche aus Gründen der Loyalität oder Zugehörigkeit sind im Kleinkindalter etwas ganz normales. Wir wollen, dass unsere Kinder wissen, wohin und zu wem sie gehören. Als ich noch als Spielgruppenleiterin gearbeitet habe, entschuldigten sich Eltern immer wieder bei mir mit Sätzen wie: „Es tut mir leid, mein Kind ist so scheu.“ Besonders dann, wenn ihr Kind in der Spielgruppe bleiben sollte und sie sich verabschieden musste. Eltern haben viele Ängste – ich weiss das, ich bin selbst Mutter. Mein Kind war auch Scheu und damit gut an mich gebunden. Das hat mir wiederum ein Sicherheitsgefühl gegeben für meine Elternmacht für mein Kind fürsorglich sorgen zu können. Es sozusagen in meinen Händen halten zu dürfen.
Als ich den Ansatz von Gordon Neufeld langsam angefangen habe zu verstehen, wurde mir klar, dass es gut ist, wenn Kleinkinder entwicklungsbedingt scheu sind und sich hinter dem Rücken der Eltern verstecken. Denn das bedeutet: „Das Kind weiss, wohin und zu wem es gehört“ Wir wollen nicht, dass unsere Kleinkinder mit jeder beliebigen Person einfach mitgehen. Diese Bindungsstufe hilft ihnen, sich tiefer an uns und unsere Familienkultur zu binden. Die Bindung über Loyalität und Zugehörigkeit geben ihnen Sicherheit und Halt – die Grundlage dafür, später eine in sich sichere, eigenständige und selbstständige Person zu werden.
Bedeutung für das Sicherheitsgefühl des Kindes
Grenzen geben Sicherheit, unterstützen das Kind in seiner Entwicklung und helfen ihm, sich in der Welt zurechtzufinden sowie sich in Raum und Zeit zu orientieren. Ist es nicht wunderbar – ein echtes Geschenk der Natur an uns Eltern –, dass der Bindungsinstinkt dem Kind hilft zu erkennen, wer seine Mama und sein Papa sind? Was und wer gehörte zu ihm – und was nicht?

Ein Kleinkind fängt ab dem 3. Lebensjahr an zu entdecken, wer und was zu ihm gehört und was nicht. Die Bindung entscheidet das nicht der Verstand. Doch wird der Verstand durch die Bindung gebildet.
Es wäre unvorstellbar und unglaublich schwierig, wenn wir unseren Kindern erst beibringen müssten, dass wir ihre Eltern sind. Instinktiv spüren wir, dass etwas in unseren Kindern verankert ist, das ihnen ermöglicht, ihre Zugehörigkeit zu erkennen. Sobald wir uns dieser natürlichen Fähigkeit bewusst werden, liegt es an uns, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Wir können unser Kind darin bestärken: „Ja, du gehörst zu mir.“ Ja, das ist dein Zimmer, hier bist du zu Hause. Und wenn wir miteinander sprechen, sprechen wir Deutsch.“
Wenn wir uns so verhalten, sind wir auch loyal unserem Kind gegenüber. Wir sagen: „Ich bin auf deiner Seite.“ Diese Haltung ist der Ausdruck von Loyalität. Indem wir das Bedürfnis unseres Kindes nach Zugehörigkeit und Sicherheit ernst nehmen, bekräftigen wir, dass wir immer für es da sind.
Ich kann nicht oft genug betonen, dass wir durch diese Art der Zugehörigkeitsbestätigung das Bindungsbedürfnis unseres Kindes erfüllen. Dadurch helfen wir ihm, sich in Raum und Zeit zu verankern, seine Wahrnehmung zu schulen und ihm den Halt zu geben, den es für seine weitere Entwicklung braucht.
2. Wenn Loyalität zur Fessel wird – Warum wir manchmal nicht loslassen können
Loyalitätskonflikte in der Familie
Wie bereits erwähnt, ist Loyalität weder per se gut noch böse. Sie ist etwas Schönes – sie gibt Kindern Zugehörigkeit und Sicherheit. Aber wenn Loyalität zur Bedingung für Liebe und Anerkennung wird, können sie Kinder gefangen halten und ihre Entwicklung zu eigenständigen, selbst denkenden Persönlichkeiten blockieren.
Gesunde Loyalität bedeutet: „Ich gehöre zu dir, und du gehörst zu mir, aber ich darf auch ich selbst sein.“
Blockierte Loyalität bedeutet: „Ich muss so sein, wie du mich brauchst, um zu dir zu gehören. Ich darf nicht anders denken oder sein als meine Familie. Wenn ich mich gemäss meinem eigenen Entwicklungsplan entwickle, verliere ich meine Zugehörigkeit.“

Wenn Kleinkinder in der Bindungsstufe Loyalität stecken bleiben, können sie keine gesunde eigenständige Persönlichkeit entwickeln und sind bis ins Erwachsenenalter mit der Identitätsfrage beschäftigt. Wer bin ich und wer oder was soll ich sein?
Die Probleme in der Eltern-Kind-Bindung beginnen oft im 2. Lebensjahr eines Kindes, wenn die Kleinen beginnen, sich lauthals bemerkbar zu machen – mit den berühmten „Neins“ und „Meins“. Heinz Etter von der Vertrauenspädagogik sagte einmal: „Wir sollen das Verhalten unserer Kleinkinder nicht moralisch deuten.“ Ich erinnere mich noch genau an seine Worte, weil sie mich tief berührt haben und mir eine so wichtige Botschaft als Mutter vermittelten. Dieselbe Botschaft möchte ich auch gerne dir weitergeben: „Beurteile das Verhalten deines Kleinkindes nicht moralisch – als gut oder böse.“ Dein Kind ist weder gut noch böse. Dein Kind ist ein unreifes Kind in der Entwicklung.“
Wie viel einfacher ist es doch, wenn wir unser Kind nicht verurteilen, korrigieren oder erzwingen müssen, dass es sich auf eine bestimmte Weise verhält. Ich glaube, dass Misstrauen gegenüber einem Kleinkind dazu führt, dass es sich „böse“ fühlt. Mit unseren Misstrauen nehmen wir unserer Kindern die Energie und die Kraft, sich gemäss seinem Entwicklungsplan zu entfalten. Stattdessen legen wir dem Kind durch unsere Misstrauen Fesseln an und zwingen es, so zu werden, wie wir es uns vorstellen und wünschen.
An dieser Stelle sind wir als Eltern gefragt: Fordern wir die Loyalität unserer Kinder mit Gehorsam und Zwang ein oder entwickeln wir Vertrauen in den grösseren Entwicklungsplan, der es dem Kind ermöglicht, sich uns freiwillig und von Herzen anzuschliessen uns zu lieben und zu uns zu gehören?
Genau an dieser Frage werden wir als Eltern herausgefordert: Wollen wir an alten Glaubensüberzeugungen und unserer eigenen Sicherheit festhalten, oder lassen wir los um dem grösseren Entwicklungsplan für uns und unsere Kinder vertrauen?
Es geht weiter, denn wachsende Bindungssicherheit entsteht erst dann, wenn die 4. Bindungsstufe von insgesamt 6 erlebt wird. Somit kommen wir zum nächsten Punkt.
3. Loyalität vs. Wertschätzung – der nächste Entwicklungsschritt
Wenn sich ein Kind optimal entwickelt, erfahren Eltern im 4. Lebensjahr, dass Kinder sich für das, was sie sind und tun, von ihren Bindungspersonen wertgeschätzt und gesehen fühlen wollen . Sie streben nach Nähe und Verbindung, indem sie sich in den Augen derjenigen, mit denen sie in Bindung stehen, bedeutungsvoll fühlen. Eine Mutter erzählte mir einmal, dass ihr Kind sie immer wieder dazu verpflichtet hat, ihm zuzuschauen, wenn es seine Lieblingsmahlzeit ass. Kinder kommen zu uns, zeigen uns ihre Zeichnungen und möchten uns zeigen, was sie alles können. Sie wollen in unseren Augen sehen, wie wichtig sie für uns sind.

Wenn wir Kinder Bindungsruhe geben, das heisst sie müssen nicht für Anerkennung arbeiten, wird Energie für herzliche Kreativität und Selbstwirksamkeit freigesetzt. 💞
Als Spielgruppenleiterin war ich viele Jahre mit Kindern im 4. Lebensjahr und deren Eltern unterwegs. Kleinkinder in diesem Alter haben ein großes Bindungsbedürfnis, und sie sehnen sich danach, in den Augen ihrer Bindungspersonen – trotz ihrer Unreife – als wertvoll anerkannt zu werden. Sie wollen einfach nur gefallen und suchen nach Loyalität und Wertschätzung in den Augen derer an die sie gebunden sind. Und das nicht in erster Linie für das, was sie tun, sondern für das, was sie tun und wie sie es tun. Wenn wir ihre Einzigartigkeit erkennen und benennen, erfüllen wir ihr Bedürfnis, in unseren Augen wichtig und bedeutungsvoll zu sein. Das bedeutet, wir unterstützen sie auf dem Weg, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden.
Wie kann ich als Elternteil sicherstellen, dass ich die Einzigartigkeit meines Kindes wertschätze, ohne es unter Druck zu setzen, etwas zu tun, nur um Anerkennung zu bekommen?
Welche konkreten Momente im Alltag kann ich nutzen, um meinem Kind zu zeigen, dass es für mich wichtig und bedeutungsvoll ist, unabhängig von seinen Leistungen oder dem, was es tut?
Warum Wertschätzung Loyalität nicht ersetzt, sondern erweitert
Wenn wir diese Aussage im Kontext der Bindung betrachten, wird deutlich, dass sich wahre Wertschätzung aus der Loyalität gegenüber der Bindungsperson entwickelt. Der Wunsch, für die geliebte Person besonders wertvoll zu sein, ist tief verwurzelt. Wenn wir die Bindungs-Dynamik zwischen Loyalität und Wertschätzung verstehen, erkennen wir, dass es für Kinder ganz natürlich und gesund ist, ihre Eltern gegenüber loyal zu sein, ihnen zu folgen und auch gehorsam zu sein. Sie sterben jedoch auf ihre eigene, einzigartige Weise. Ihr Bedürfnis ist es, uns nachzufolgen und uns zu lieben – treu zu sein, dabei aber ihre eigene Kreativität und Individualität zu bewahren.

„Vertrauen in den Wunsch unserer Kinder, uns alles recht zu machen, ist die beste Investition für eine einfache elterliche Erziehung.“ Gordon Neufeld
An dieser Stelle kommt auch wieder das Vertrauen ins Spiel: Vertrauen wir unseren Kindern und glauben wir, dass sie uns aus freien Stücken folgen und uns lieben wollen? Viele Eltern spüren instinktiv den Bruch zwischen Loyalität und Wertschätzung, der entstehen kann. Loyalität kann ohne Verletzlichkeit gelebt werden – sie kann eingefordert werden. Wertschätzung kann jedoch nicht erzwungen werden, sondern entsteht aus einer Verbindung von Liebe und Verletzlichkeit. Es hat etwas mit dem Herzen zu tun.
Für eine erfolgreiche Persönlichkeitsentwicklung ist zu beachten, dass wahre Wertschätzung nicht ohne Loyalität gelebt werden kann. Wertschätzung wird durch die tiefe Bindung und das Vertrauen zwischen Eltern und Kind getragen und entwickelt sich aus dieser Loyalität heraus.
In welchen Momenten hast du in der Beziehung zu deinem Kind das Gefühl, dass Loyalität und Wertschätzung besonders stark aufeinander wirken und sichtbar werden?
Wie Eltern gesunde Loyalität fördern können
Kleinkinder im ersten Lebensjahr binden sich über ihre Sinne und den Körperkontakt. Wenn sie im zweiten Lebensjahr mobiler werden, erweitert sich die Bindungsfähigkeit, und Kinder beginnen, sich über Gleichheit zu binden. Es ist kein Wunder, dass Kinder im zweiten Lebensjahr anfangen, die Sprache zu erlernen, und im dritten Lebensjahr beginnen, sich ihre Bezugspersonen über Loyalität und Zugehörigkeit nahe zu fühlen.
Wir haben nun besser gesehen und verstanden, dass das Bindungssystem zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr ins Stocken geraten kann, wenn es an Verletzlichkeit fehlt oder wenn unbewusste Schutzmechanismen oder Traumata vorhanden sind. Bindung und das Gefühl, sich über Wertschätzung nahe zu fühlen, können nur im Raum von Vertrauen und Liebe wirklich entstehen. Zugehörigkeit und Liebe können nicht unter Kontrolle, Zwang oder Druck entwickelt werden.
Wie kannst du nun gesunde Loyalität fördern? Achte darauf, ob du dein Kind für das bist, was es ist und was es tut, wertgeschätzt. Fällt dir nach dem Lesen dieses Artikels auf, dass du in diesen Bindungsstufen blockiert bist, möchte ich dich ermutigen, Hilfe zu suchen, um diese Blockaden zu überwinden und die Beziehung zu deiner Art weiter zu stärken.
Fazit
Die Kernbotschaft bleibt dieselbe: Eine gesunde Loyalität kann nur im Raum von Vertrauen und Wertschätzung entstehen.
Möchtest du deine Erfahrungen teilen oder hast du Fragen oder ein Anliegen. Reflektiere gerne in einem Kommentar!
Ich freue mich von dir zu lesen
deine Karin