Im Jahr 2009 erschien das Buch Erziehen im Vertrauen von Heinz Etter. Ich lernte dieses Buch in einem Elternkreis kennen, wo wir es gemeinsam lasen, den Inhalt studierten und versuchten, den beschriebenen Erziehungsansatz in unseren Familien mit unseren Kindern umzusetzen. Besonders erinnere ich mich an eine Aufgabe aus dem Buch: einen ganzen Tag lang nicht zu schimpfen. Damals war unser Kind noch ein Baby, weshalb mich diese Herausforderung im damaligen Moment nicht direkt betraf. Dennoch blieb mir im Gedächtnis, wie schwer es vielen anderen Müttern fiel, nicht in alte Muster des Schimpfens zu verfalle. Sie waren so sehr an diese Form der Kommunikation gewöhnt, dass es ihnen schwerviel in der Beziehung zum Kind einen Tag darauf zu verzichten. Viele fühlten sich hilflos und überfordert, besonders angesichts der Frage: Wie kann ich mein Kind dazu bringen, in schwierigen Momenten mit mir zusammenzuarbeiten oder auf meine Anleitungen einzugehen? Mit seinem Join-up-Konzept gab uns Heinz Etter eine Antwort, die uns zugleich schmerzliche und heilsame Einsichten brachte.
Was versteht man unter einer join-up Eltern-Kind-Beziehung?
Wie wir junge Eltern von damals suchen heutige Eltern nach einem Erziehungsansatz, der auf Vertrauen statt Kontrolle basiert. Das Join-up-Konzept bietet einen Weg, diese Art der Beziehung aufzubauen. Es ist keine Methode, sondern ein lebendiger Prozess, der es ermöglicht, neue gesunde und entwicklungsfördernde Bindungsmuster zu entwickeln und einzuüben. Eine Join-up-Beziehung basiert auf Vertrauen und einer klaren Hierarchie, in der Eltern für ihre Kinder sorgen. Kinder können sich entspannen und ihren Eltern folgen, wenn sie sich sicher, geborgen und verstanden fühlen.
Was ist „Das Zuckerbrot und Peitsche Prinzip“?
Im Gegensatz dazu steht der Ansatz von Zuckerbrot und Peitsche, bei dem das Verhalten des Kindes durch Kontrolle, Belohnung und Bestrafung gesteuert wird. Viele Eltern sind sich nicht bewusst, dass durch diese Art der Manipulation der gute Wille des Kinde untergraben wird. Oft gibt man dem Kind mit dieser Art der Erziehung erst recht das Recht sich so zu verhalten wie es im Misstrauen von den Eltern gegenüber dem Kind erwartet wird. Mann Pojeziert sozusagen schon vorprogrammiert ungesundes Verhalten. Dabei bleibt die natürliche Vertrauensbasis zwischen Eltern und Kind oft unberücksichtigt.
Im Gegensatz dazu steht der Ansatz von Zuckerbrot und Peitsche, bei dem das Verhalten des Kindes durch Kontrolle, Belohnung und Bestrafung gesteuert wird. Zum Beispiel wird ein Kind gelobt, wenn es „brav“ ist, oder ausgeschimpft, wenn es nicht gehorcht. Viele Eltern sind sich nicht bewusst, dass durch diese Art der Erziehung der gute Wille des Kindes untergraben wird.
Stellen wir uns vor, ein Kind wird ständig darauf konditioniert, nur dann positive Zuwendung zu erhalten, wenn es genau das tut, was die Eltern wollen. Es lernt dabei weniger, selbstständig zu entscheiden, was richtig ist, sondern orientiert sich vor allem daran, wie es Bestrafung vermeiden oder Lob einheimsen kann. Diese Form der Manipulation sendet dem Kind die Botschaft, dass es nur dann liebenswert ist, wenn es bestimmte Erwartungen erfüllt.
Noch problematischer wird es, wenn Eltern unbewusst negatives Verhalten des Kindes „vorprogrammieren“, indem sie dem Kind misstrauen. Wenn sie beispielsweise davon ausgehen, dass das Kind absichtlich ungezogen ist, oder ihm böse Absichten unterstellen, spürt das Kind dieses Misstrauen. Es kann dann beginnen, sich genau so zu verhalten, wie die Eltern es unbewusst erwartet haben – nicht aus Bosheit, sondern weil es in der Beziehung keine sichere Grundlage findet, um sich anders zu entwickeln.
Stattdessen stärkt das Join-up-Prinzip die Beziehungsebene und gibt Kindern die Möglichkeit, sich aus Vertrauen und Sicherheit heraus positiv zu entwickeln.
Der Weg vom Schimpfen hin zu einer vertrauensvollen Beziehung kann herausfordernd sein, aber er lohnt sich. Es ist ein Prozess der Heilung – sowohl für Eltern als auch für Kinder.
„Vertrauen in den Wunsch unserer Kinder, uns alles recht zu machen, ist die beste Investition für eine einfache elterliche Erziehung .“ Dr. Gordon Neufeld
Ein heilsamer Moment
Einmal lag unsere kleine Tochter auf dem Boden, schaute mich an und sagte: „Kei Fuditäsch“ (kein Klaps auf den Po). Ihre Augen waren voller Angst, und dieser Blick hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke wie ein Blitz: Meine Tochter hat Angst vor mir. Das war ein erschütternder Moment. Ich wusste sofort, dass ich das nicht wollte. Von diesem Tag an habe ich mein Kind nie wieder körperlich bestraft.
Dieser Einschnitt war der Beginn eines schwierigen, aber heilsamen Prozesses – nicht nur für meine Erziehungsmethoden, sondern auch für mich selbst. Damals beschäftigte ich mich bereits intensiv mit dem Join-up-Prinzip, das mir half, meine Perspektive auf das Kind, auf Bindungsmuster und auf die Beziehung zu verändern.
Mit meiner Geschichte möchte ich Eltern ermutigen, geduldig mit sich selbst zu sein. Veränderungen brauchen Zeit, denn sie betreffen nicht nur unser Verhalten, sondern auch unsere inneren Überzeugungen und Sichtweisen.
Was mir geholfen hat, im „Join up“ mit meinem Kleinkind zu bleiben
Auf unserem Weg haben wir viele Methoden ausprobiert, darunter auch den „stillen Stuhl“. Diese Ansatz basieren auf der Idee, dass Kinder kooperationsbereiter werden, wenn sie isoliert werden. Doch was ich damals noch nicht wusste, ist, dass diese Kooperation oft aus Angst entsteht – und Angst hindert die natürliche Entwicklung von Kindern und kann darum nicht das bewirken, was wir möchten: Persönlichkeitsentwicklung und menschliche Reife. Ich habe 2010 erkannt, dass emotionale Trennungsstrafen für mein Kind besonders schwierig sind und ihre Entwicklung negativ beeinflussen kann. Diese Erkenntnis hat mein Verständnis von Erziehung und Bindung grundlegend verändert und meinen Fokus auf den Kontakt und die Beziehung zu meinem Kind gelenkt. Ich habe nie bereut, auf Trennungsstrafen und andere auf Trennung basierte Disziplinierungen zu verzichten. Diese Entscheidung hilft mir bis heute, im „Join-up“ mit meinem Kind zu bleiben.
„Es fällt mir leichter, Erziehung durch die Beziehung zum Kind zu gestalten, anstatt mein Kind mit festen Methoden und Konzepten zu erziehen.“ Karin
Diesen Leitsatz verfolge ich bis heute, und auch im Teenageralter meines Kindes hat er sich weiterhin bewährt
Mut zur Veränderung
Eltern-Kind-Beziehung im Join-up zu leben erfordert über die Jahre immer wieder Geduld und Vertrauen in die natürlichen Wachstumsprozesse der Kinder und mit sich selbst. Es ist ein Prozess, der uns lehrt, beständig alte Bindungs-Muster zu hinterfragen und unsere Kinder als eigenständige Persönlichkeiten wahrzunehmen. Es ist ein Weg, Vertrauen zu stärken und eine Grundlage für ein Leben lang tragfähige Beziehungen zu schaffen. Es erfordert Mut sich auf eigene Heilungsprozesse einzulassen, damit wir im Alltag nicht aus der Beziehung zum Kind aussteigen, weil wir mit unseren eigenen Gefühlen nicht zurechtkommen.
Was hältst du vom „Join-up“-Prinzip und dem bindungsbasierten Entwicklungsansatz. Ich freue mich auf deine Rückmeldung!
Herzliche Grüße
Karin
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