Ich wollte nur, dass mein Kind gehorcht. Doch eines Tages sah ich in ihren Augen Angst – vor mir. Dieser Moment hat mein Herz erschüttert und mein Denken und Handeln über Elternsein praktisch auf den Kopf gestellt.
Der Wendepunkt – Als meine Tochter plötzlich Angst vor mir hatte
Ich weiss nicht mehr, was dem Moment vorausging – ob es um Anziehen ging, ums Aufräumen oder etwas ganz anderes. Doch das Bild, das sich mir eingebrannt hat, ist klar. An einem Sommermorgen lag unsere damals knapp zwei Jahre alte Tochter auf dem Boden unseres Wohnzimmers. Ich stand vor ihr und blickte mit drohenden Augen auf sie herab. Ich wollte, dass sie endlich kooperiert – und „funktioniert“. In diesem Wunsch nach Gehorsam war ich nach dem Babyjahr hart geworden. Joy verstand und schaute mich mit angsterfüllten erhobenen Augen an und sagte flehend: „Mami, kei Fudi-Tätsch (Klaps auf den Po).“ In diesem Moment blieb die Welt stehen. Ich erkannte, dass Joy Angst vor mir hatte – vor meiner Handlung. Das hat mich zutiefst erschüttert.
Vor diesem Erlebnis war ich oft unsicher wie ich Joys Verhalten kontrollieren oder sie dahin zu lenken kann, dass sie „funktioniert“, so wie ich es mir wünschte. Ich wollte, dass sie gehorcht. Dass sie tut, was ich sage. Ich war überfordert mit meiner Aufgabe als Mutter: meinem Kind Orientierung zu geben und es liebevoll zu begleiten. Und leider setzte ich damals noch Vertrauen in Erziehungsmethoden, die auf Angst statt auf Beziehung basierten.
Als ich Joys Angst sah, wurde mir plötzlich klar, dass ich mit meinem Verhalten etwas zerstören könnte, das viel wichtiger ist: ihr Vertrauen und ihre Geborgenheit. Dieses einschneidende Erlebnis veränderte meinen Blick und mein Denken auf Erziehung grundlegend. Ich fühlte eine tiefe Fürsorge – nicht nur für ihr Verhalten, sondern für ihr Herz.

Scham macht unsichtbar. Nicht weil wir es wollen, sondern weil wir glauben, wir dürften nicht sichtbar sein.
Unser Weg zwischen Belohnungssystemen und Vertrauenspädagogik
Warum Belohnung und Strafe für uns nicht funktionierten
Dabei waren mein Mann und ich eigentlich von Anfang an auf der Suche nach einem guten Weg. Bereits im ersten Lebensjahr unserer Tochter kamen wir mit Vertrauenspädagogik in Berührung – eine Haltung, die auf Beziehungsstärkung statt auf Verhaltenslenkung setzt. Wir wussten: Wir wollen unsere Tochter mit Liebe begleiten, nicht über Kontrolle führen. Und trotzdem – wie so viele Eltern – liessen wir uns zunächst auf Konzepte ein, die ganz anders funktionierten.
Wir besuchten einen Erziehungskurs, der im Behaviorismus verankert war. (Der Behaviorismus ist eine Theorie, die davon ausgeht, dass man das Verhalten von kleine und grossen Menschen) durch Belohnung und Strafe beeinflussen kann. Sie stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert und wurde besonders durch die Forscher John B. Watson und B. F. Skinner bekannt.)
Ich war überfordert mit dem Gedanken, meinem Kind für jedes gewünschte Verhalten eine Belohnung geben zu müssen – immer zu loben, zu korrigieren, zu steuern. Ich merkte schnell, dass mir dieser Ansatz nicht entsprach. Er fühlte sich unpersönlich und überfordernd an. Das Kind als Objekt das wir Eltern formen und gestalten müssen.
Im Vergleich dazu war die Vertrauenspädagogik wie ein Aufatmen – denn sie lud uns ein, nicht am Verhalten herumzuschrauben, sondern die Beziehung in den Mittelpunkt zu stellen.
Vertrauenspädagogik – Beziehung statt Kontrolle
Und trotzdem: Wir probierten vieles aus. Vielleicht wie viele Eltern. Wir versuchten „Jedes Kind kann schlafen lernen“, setzten sie auf den „stillen Stuhl“, griffen zu einem „Fudi-Tätsch“ – in der Hoffnung, so das Verhalten unseres Kleinkindes zu beeinflussen. Wir wollten sie formen, lenken, in die richtige Richtung bringen.
Doch dann kam dieser Moment, der alles veränderte. Der Blick meiner Tochter, ihre flehenden Worte – sie haben mich mitten ins Herz getroffen. Noch an diesem Tag traf ich eine Entscheidung: Mein Kind soll sich bei mir sicher und geborgen fühlen – niemals mehr bedroht oder beschämt. Seitdem haben mein Mann und ich nie wieder zu körperlichen Strafen gegriffen. Ich begann, mein Verhalten und meine Erwartungen zu hinterfragen und mich auf eine geduldige, angstfreie Begleitung einzulassen.
Trennungsstrafen
In diesem Prozess wurde mir auch bewusst, wie verletzend sogenannte Trennungsstrafen sein können – also wenn man ein Kind ignoriert, aus dem Raum schickt oder sich emotional und körperlich zurückzieht, um ein bestimmtes Verhalten zu „korrigieren“. Auch davon habe ich mich bewusst verabschiedet. Ich wollte nicht, dass meine Tochter Liebe und Verbindung nur dann spürt, wenn sie sich „richtig“ verhält. Sie sollte spüren: Unsere Nähe ist sicher – auch in schwierigen Momenten.
Ein ehrliches Bekenntnis
Lange Zeit habe ich nicht darüber gesprochen, dass ich meinem Kind mit Körperstrafe begegnet bin. Aus Scham über mein Verhalten als Mutter habe ich diese Erfahrung tief in mir vergraben – bis sie eines Tages wieder lebendig wurde. Heute erzähle ich diese Geschichte bewusst, weil es auch heute noch viele Familien gibt, die ähnlich leiden: Kinder, die beschämt oder bestraft werden, und Eltern, die sich hilflos und schuldig fühlen.
Ich möchte, dass Kinder nicht länger für ihre kindliche Unreife bestraft oder beschämt werden. Und ich wünsche mir, dass Eltern sich nicht mehr zurückziehen, wenn sie keine andere Lösung als Schimpfen, Drohen oder Strafen sehen. Es gibt einen anderen Weg – ich habe ihn gefunden und lebe ihn: einen beziehungsorientierten, liebevollen Weg, der uns als Eltern mit all unserer Menschlichkeit annimmt und unseren Kindern die Geborgenheit schenkt, die sie brauchen, um zu wachsen und zu reifen.
Der andere Weg
Kindliches Verhalten als Ausdruck innerer Reifung verstehen
Ein tiefgreifender Wendepunkt auf meinem Weg war das Studium am Neufeld-Institut. Der bindungsbasierte Entwicklungsansatz von Dr. Gordon Neufeld hat mein Denken über Kinder nachhaltig verändert. Ich lernte eine Theorie kennen, die mein Verständnis nochmals vertiefte. Kindliches Verhalten erkannte ich nun als Teil eines inneren Reifungsprozesses – kein Fehlverhalten, das diszipliniert werden muss, sondern ein Entwicklungsschritt, der durch Beziehung, Geborgenheit und liebevolle Begleitung reifen darf.
Auch ich durfte durch diesen Ansatz innerlich wachsen und nachreifen
Dieser Ansatz schenkte mir nicht nur ein tiefes Verständnis für mein Kind – er hat auch mich als Mutter innerlich entlastet und gestärkt. Und mehr noch: Auch mein eigenes Menschsein habe ich durch die Brille dieses Ansatzes neu verstehen gelernt – mit mehr Verständnis, Mitgefühl, Annahme und Geduld für meine eigene Unreife und Entwicklung. Für eine menschliche Entwicklung ist es nie zu späht 💞
Neue Wege gehen – jenseits von Machtkämpfen und Strafen
Heute weiss ich, wie schnell durch Strafen und Schimpfen das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern verloren gehen kann. Wenn Kinder Angst, Scham oder Rückzug erleben, fehlt ihnen die Sicherheit und die Energie, die sie für eine gesunde emotionale Entwicklung ihrer Persönlichkeit brauchen. Deshalb ist es mir ein Herzensanliegen, Eltern und Kinder wieder in eine Beziehung voller Vertrauen, Nähe und liebevoller Geborgenheit zu begleiten.
Inspiriert von der biblischen Vorstellung, dass Eltern und Kinder einander mit offenem Herzen begegnen, setze ich mich dafür ein, dass Kinder angstfrei und in Liebe aufwachsen dürfen.
Herzbildung und Gedankentraining für ein neues Erziehungsverständnis
Mit zehn Jahren Erfahrung als Spielgruppenleiterin sowie Ausbildungen zur Eltern-Kind-Gruppenleiterin und Babymassagekursleiterin begleite ich heute Eltern in Babymassagekursen und in der Online-Eltern Whatsappgruppe „Herzbildung) Dort lernen Eltern, in der Herzbildung und durch ein liebevolles Gedankentraining, Erziehung neu zu denken und zu handeln – jenseits von Strafen, Machtkämpfen und ständiger Korrektur.
Denn häufig geht in solchen herausfordernden Alltagssituationen die Freude am eigenen Kind verloren. Mein Herzensanliegen ist es, Eltern darin zu stärken, ihre Kinder mit neuen Augen zu sehen, ihr Elternsein liebevoll und klar zu gestalten und die Beziehung zu ihrem Kind wieder mit Freude und Verbindung zu füllen.

„Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“ (Philipper 4,4) Ich bin überzeugt: Die beständige Freude an unseren Kindern wächst aus einer tieferen Quelle – aus der persönlichen Freude an Gott, dem Schöpfer, und an Jesus Christus, der uns Eltern mit unendlicher Liebe begegnet. Wenn unsere Gedanken in dieser Freude gegründet sind, wird unser Herz frei, unsere Kinder mit einem weichen Blick und offenem Herzen zu begleiten – unabhängig von ihrem Verhalten.
Ein Paradigmenwechsel in der Erziehung – was bedeutet das?
Dabei geht es nicht einfach nur um Tipps oder eine Methoden – es ist ein echter Paradigmenwechsel: ein grundlegender Wechsel der Sichtweise. Ein Paradigma beschreibt die Brille, durch die wir die Welt betrachten – also das Denkmodell, das unsere Haltung und unser Handeln bestimmt. Wenn wir diese Brille austauschen, verändert sich nicht nur unser Blick auf unser Kind, sondern auch unser Verhalten – ganz ohne Druck, sondern aus einem erneuerten Herzen heraus.
Drei zentrale Botschaften, die mein Muttersein prägen
Erstens: Verändere dein Denken – erkenne, dass dein Kind unreif ist, aber nicht böse, und begleite es liebevoll.
Zweitens: Weinen ist kein Problem – es hilft Kindern, Frustration zu verarbeiten; ein liebevolles Nein unterstützt sie dabei.
Drittens: Berührung schenkt Babys, Kleinkinder, Kinder, Jugentliche, Erwachsene Geborgenheit und fördert die Entwicklung und Gesundheit.
„Vertrauen in den Wunsch unserer Kinder, uns alles recht zu machen, ist die beste Investition für eine einfache elterliche Erziehung.“ Dieses Zitat von Dr. Gordon Neufeld hat mein Denken nachhaltig verändert und unterstützt viele Eltern dabei, ihre Kinder mit neuen Augen zu sehen.
Wenn wir unseren Kindern erlauben, sich an uns zu binden – mit all ihrer Unreife –, entsteht tiefe Geborgenheit. Kinder brauchen keine Strafen, um zu kooperieren, sondern Nähe und Sicherheit. Diese Erkenntnis prägt mein Muttersein und bildet die Grundlage meiner Arbeit mit Kleinkinder und Eltern: Erziehung darf Beziehung sein – liebevoll, klar und frei von Angst.
Du bist wertvoll – als Vater oder Mutter, so wie du bist
Mein Herzenswunsch ist, dass jede Mutter, jeder Vater spürt, wie wertvoll sie sind –
nicht wegen ihrer Perfektion alles richtig zu machen,
sondern durch ihre liebevolle, schützende Präsenz.
Fazit: Beziehung statt Erziehung – aus Freude heraus begleiten
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis meiner Reise als Karin, Mutter und Kleinkindpädagogin ist: Kinder brauchen keine Strafen, um sich zu entwickeln – sie brauchen uns. Sie brauchen Beziehung, Bindung, ein sicheres Nest, liebevolle Führung und ein♥️, das sieht, was hinter dem Verhalten liegt.
Was ich heute lebe, durfte ich Schritt für Schritt lernen – durch schmerzliche Erfahrungen, durch Umdenken und durch tiefgehende Impulse aus der Vertrauenspädagogik und dem bindungsbasierten Entwicklungsansatz.
Meine Freude an meiner Tochter und an meinem Muttersein wurzelt heute schon lange nicht mehr in „funktionierendem“ Verhalten, sondern in einer Haltung der Verbindung und des Vertrauens. Sie wurzelt letztlich in der Freude an Gott – die mein Herz weich gemacht hat für mein Kind und für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen.
Ich wünsche mir, dass immer mehr Eltern erleben dürfen: Wahre Veränderung beginnt im Herzen – und echte Erziehung ist gelebte Beziehung.
Ich freue mich auf deine Gedanken!
Schreibe gerne einen Kommentar oder teile deine Erfahrungen – ich lese sie mit offenem Herzen. Wenn dich meine Worte berührt hat, lade ich dich herzlich ein, auch meine weiteren Blogartikel zu entdecken.
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