„Gott, hilf uns, durch all unsere Karfreitage zu gehen – in der Hoffnung auf Ostern.“ Diese Worte betete die Pfarrerin in der Kirche. Ich sass da, in der Bank, betete leise mit – und war tief berührt.
Ein Gebet in der Kirchenbank – und eine berührende Erkenntnis
Wie die Worte der Pfarrerin mein Herz erreichten
Es hat mich besonders bewegt, wie nah die Auslegung über das Leiden und Sterben Jesu am biblischen Text war. Das Leiden Jesu wird in allen vier Evangelien erzählt, und die Pfarrerin hatte sich für die Version aus dem Johannesevangelium entschieden. Sie erzählte, dass es dem Verfasser Johannes wichtig war, das Erleben von Jesus bereits aus der Perspektive der Auferstehung von Ostern her zu verstehen. Johannes gelingt es, in seinem Bericht über das Leiden Jesu die Hoffnung auf Ostern – auf neues Leben – mit hineinzuweben. Er beschreibt, wie Jesus am Kreuz zu seiner Mutter sagt: „Siehe, das ist dein Sohn“, und zu Johannes: „Siehe, das ist deine Mutter.“ Eine Geste der Fürsorge – und zugleich ein zukunftsweisendes Zeichen. Johannes deutet damit an: Es gibt eine Zukunft. Eine Verbindung entsteht – zwischen zwei Menschen – und sie dürfen, ja sollen, gemeinsam weitergehen. Es bewegt mich, wie es Jesus möglich war sich in seinem Sterben und unaussprechlichem Schmerzen dem Trennungsschmerz und den Trennungsängsten seiner Liebsten zuwendet – seiner Mutter und dem Jünger Johannes.
Der Blick des Johannes: Hoffnung im Angesicht des Leidens
Noch während ich dort in der Kirchenbank sitze, spüre ich, wie sich mein Denken verändert. Wie sich die schwere Emotion in mir lichtet – und Hoffnung in mir aufkeimt. Wie wohltuend. Und wie wahr. Es gibt einen Weg durch das Leiden hindurch. Und Johannes scheint genau darauf hinweisen zu wollen: Dass da Hoffnung aufkeimt – für jene, die ohne Jesus weiterleben müssen. Jesus beginnt – mitten im eigenen Sterben – sich um den Trennungsschmerz und die Trennungsängste seiner Liebsten zu kümmern. Er legt diesen Schmerz nicht in die Dunkelheit, sondern in die Hände derer, die weiterleben. Er sagt im Grunde: Sorgt füreinander. Tragt diesen Schmerz gemeinsam. Jesus legt den Trennungsschmerz, den niemand allein tragen kann, auf mehrere Schultern. Er weiss um unsere menschliche Tendenz, sich im Schmerz zurückzuziehen – in die Einsamkeit, ins Abgeschnittensein der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Und genau dem setzt er etwas entgegen: Beziehung. Verbindung. Verantwortung füreinander.
Wenn das Leben Karfreitag ist
Karfreitage – das sind für mich nicht nur Tage im Kirchenjahr. Es sind Lebenserfahrungen. Besonders dann, wenn sie von Gefühlen der Ohnmacht, Hilflosigkeit und inneren Trennung geprägt sind. Wenn wir durch dunkle Zeiten gehen, in denen nichts mehr sicher scheint. Wenn wir – wie damals Maria und Johannes am Kreuz – die Erfahrung machen, dass alles aus ist. Dass es nur noch eine gefühlte Nacht gibt, ohne Sonnenaufgang. Und wir ganz allein sind mit unserem Schmerz. Ohne Hoffnung auf ein Morgen.
Eine persönliche Geschichte
Fehlgeburten, Scham und Rückzug
Bevor unsere Tochter auf die Welt kam, erlitt ich mehrere Fehlgeburten. Damals zog ich mich immer mehr zurück. Mit der Zeit entwickelte ich eine tiefe Scham – über meine vermeintliche Unfähigkeit, ein Kind auszutragen. Ich erinnere mich noch genau an diese Gefühle von regelmässiger Ohnmacht und furchtbarer Trennungsangst.
Ich erinnere mich auch an die Frauenärztin, die mich während eines Aborts so einfühlsam, tröstlich und klar begleitet hat, dass ich in ihrer Gegenwart zum ersten Mal meine Scham loslassen konnte. Sie wurde später die Ärztin, die unsere Tochter auf die Welt brachte. Natürlich gab es viele Faktoren, die zur Geburt unserer Tochter beigetragen haben – doch ohne Zweifel war diese Ärztin ein entscheidender Teil davon. Weil ich mich bei ihr nicht schämen musste. Weil ich mich in ihrer Gegenwart mit meinem Schmerz und meinen Trennungsängsten einfach sicher und gut aufgehoben fühlte.
Diese meine Erfahrung nimmt mir den tröstlichen Gedanken der Karfreitagserzählung wieder auf: Das Leben stellt uns oft – gerade in unseren dunkelsten Momenten – einen Menschen zur Seite, der die Kraft hat unseren Schmerz herzlich mitzutragen. Wie Jesus, der sich im Sterben nicht nur um seine eigene Not und Schmerzen sorgt, was nach meiner Meinung eine aussergewöhnliche Handlung war, sondern eine Verbindung schafft, die Halt geben kann: Er stellt Maria und Johannes einander zur Seite – zwei Menschen, die ihn lieben und ihn gemeinsam verlieren.
Der Mittler im Schmerz: Wenn Menschen füreinander Brücken bauen
Auch in unserem Leben sind es oft solche „vermittelnden“ Menschen, die uns auffangen, wenn wir drohen zu fallen. Die eine Brücke schlagen zwischen Schmerz und Hoffnung. Für mich war es damals diese eine Ärztin – eine stille Weg Begleiterin, die ohne grosse Worte einen Raum geschaffen hat, in dem meine Scham keinen Platz mehr hatte und damit den Raum für Neue Erfahrungen eröffnete.
Wenn ich mich in die letzten Minuten der Begegnung zwischen Jesus, seiner Mutter und Johannes hineinspüre, darüber nachdenke und innerlich horche, berührt mich das sehr. Ich spüre, wie wichtig es Jesus war, dem Trennungsschmerz nicht einfach nur Raum zu geben, sondern ihn zu verwandeln – in Verbindung. Es scheint, als wollte er seinen Liebsten inmitten der Ohnmacht und Angst einen Weg zeigen, wie sie und alle Menschen mit solch tiefen Erfahrungen der Hoffnungslosigkeit umgehen können. Es ist, als würde Jesus sagen: „Ihr sollt diesen Schmerz nicht allein tragen. Ihr sollt in eurer Trennungserfahrung nicht allein bleiben.“ Das ist jetzt meine Auslegung. Sozusagen wie dieses Erleben auch noch verstanden werden kann.
Das berührt mich tief. Denn darin liegt ein tröstlicher Hinweis: Hoffnung beginnt dort, wo wir einander verbunden bleiben – gerade in den Momenten, in denen wir am meisten dazu neigen, uns zurückzuziehen.
Wenn Liebe bleibt – auch in der dunkelsten Stunde
Was Jesus uns über Beistand im Leiden lehrt
Mir kommt da ein Satz in den Sinn, der mich immer wieder bewegt: „Kindern genau dann nahebleiben und sie lieben, wenn wir meinen, sie hätten Liebe nicht verdient.“ Wie oft spüren Kinder – ganz besonders in Momenten von Gefühlen von Frustration, Wut oder Trauer – unbewusst eine Trennung in der Beziehung zu ihren Eltern. Und gerade dann brauchen sie unsere liebevolle Zuwendung am meisten. Nicht als Reaktion auf gutes Verhalten, sondern als Antwort auf ihr tiefes Bedürfnis nach Halt und Verbindung. Bindung ist das Fundament für eine gelungene kindliche Persönlichkeitsentwicklung und wir Erwachsene sollten uns von Herzen für einen tröstlichen und hilfreichen Umgang mit jeglicher Art von Trennungserfahrungen bemühen.
Für Kinder da sein – gerade dann, wenn es schwer ist
Besonders Kinder sind – wie soll ich sagen – in Zeiten einer Trennungserfahrung auf einen „Mittler“ angewiesen. Auf jemanden, der wie ein stiller Begleiter mit ihnen in Verbindung bleibt. Der ihre Gefühle sieht, spürt, aufnimmt und sie darin nicht allein lässt. Der bleibt, auch wenn es schwierig ist. Eltern sind da einfach immer die Beste Wahl!
„Bleib bei mir“: Was Kinder in Krisen am meisten brauchen
So wie Jesus am Kreuz nicht nur an das Ende dachte, sondern an die, die zurückbleiben. Er stellte Verbindung her, genau in dem Moment, in dem alles auseinanderzubrechen drohte. Diese Worte – „Siehe, dein Sohn. Siehe, deine Mutter.“ – war nicht nur Fürsorge, sie war auch ein heiliger Akt der Vermittlung. Kinder brauchen genau solche Gesten. Wenn ihr Inneres in emotionaler Aufruhr ist, wenn sie sich getrennt und verloren fühlen, dann brauchen sie jemanden, der ihr emotionales Chaos aushält. Der Mittler ist – zwischen Schmerz und Halt, zwischen Angst und Geborgenheit. Und manchmal ist das einfach ein Mensch, der bleibt, liebt – und das Herz nicht verschliesst.
Wenn Herzen sich einander zuwenden – vom Kreuz Jesu Christi bis zu Propheten Maleachi
Was die Bibel über Generationenverbindung sagt
„Denkt an die Anweisungen, Gebote und Vorschriften, die ich meinem Diener Mose am Horeb für ganz Israel gab. Doch bevor der grosse und schreckliche Tag des HERRN kommt, sende ich euch den Propheten Elia. Er wird die Herzen der Väter ihren Kindern und die Herzen der Kinder ihren Vätern zuwenden, damit ich bei meinem Kommen nicht das Land vernichten muss.“ (Maleachi 3,22–24)
Diese prophetischen Worte sind geschrieben vom jüdischen Propheten Maleachi. Maleachi ist das letzten Buch des Alten Testamentes und es wird gesagt, dass dieses Buch sechshundert Jahre vor Jesu geburt geschrieben ist. Die Verse Kapitel 3, 22-24 beschäftigen mich schon ganz lange und sind auch so etwas wie die geistliche Vision meiner Arbeit und meiner eigenen Mutter-Kind Beziehung. Die Verse erzählen von einer Herzensbewegung, die zwischen den Generationen geschehen soll – zwischen Vätern und Kindern, zwischen Müttern und Söhnen, zwischen Menschen, die durch Zeit, Schmerz oder Schuld voneinander getrennt sind. Eine Zuwendung, die längst zerbrochene Beziehungen zwischen Eltern und Kinder heilen kann. Eine Hin-Bewegung, die verbindet. Jesus greift diese Bewegung auf – in seinem Sterben. Noch am Kreuz legt er das Fundament für Beziehung, für ein Miteinander, das über den Schmerz hinausreicht. Es ist, als würde er sagen: Schaut einander an. Bleibt verbunden. Haltet einander im Schmerz aus und fest. Lasst den Trennungsschmerz euch nicht trennen. Er, der Sohn, wendet das Herz der Mutter dem Jünger zu – und umgekehrt. Schmerz kann auch verbinden. Allerdings glaube ich, dass Jesus etwas anderes gemeint hat. Ich meine zu verstehen, dass Jesus die Beiden aufgefordert hat den Trennungsschmerz gemeinsam zu tragen und zu bewältigen. Was meinst Du?
Hoffnung, die weiterreicht: Auferstehungskraft schon mitten im Leben
Wenn Fürsorge neue Wege schafft
Die Prophetie aus Maleachi bekommt hier einen leuchtenden Ausdruck: Inmitten von Trennung geschieht Verbindung. Inmitten von Schmerz geschieht Fürsorge. Und mitten im Ende beginnt – leise, aber bestimmt – etwas Neues. An diesem Punkt kommt etwas ins Spiel, das noch viel mehr nach Ostern klingt: Jesus kommt zurück ins Leben – durch die Auferstehungskraft Gottes. In der Bibel lesen wir, dass der Tod keine Macht über ihn hatte und das Leben zu ihm zurückkehrte. Diese österliche Kraft eröffnet uns einen Blick in eine Zukunft jenseits unseres irdischen Daseins.
Die Offenbarung beschreibt diese Hoffnung mit eindrucksvollen Worten:
„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenbarung 21,4)
Die Auferstehung Jesu lässt uns vorausahnen, was einmal sein wird – ein Leben in der Ewigkeit, in dem es keine Trennungsschmerzen und keine Angst mehr geben wird. Das ist Zukunftsmusik. Eine Hoffnung, die über dieses Leben hinausgeht. Und doch dürfen wir diese Hoffnung schon hier auf Erden kosten – als eine Art „irdisches Ostern“. Unter diesem irdischen Ostern verstehe ich das menschliche Potenzial, sich unter Tränen und Trauer an das anzupassen, was wir nicht ändern können, um danach vertrauensvoll und mutig weiterzuleben. Karfreitag und Ostern lehren uns: Trennungserfahrungen – in welcher Form auch immer – müssen wir, wenn wir wollen nicht allein tragen. Sie dürfen gemeinsam und mutig durchlebt und durchstanden werden.
Wenn ein Kind zurück ins Leben findet: Eine Fallstudie voller Licht
Heilung und Integration einer traumatischen Erfahrung
In meiner Fallstudie Traumatisierte Trennungsangst überwinden – eine Spielgruppen Fallstudie beschreibe ich eindrücklich, wie ein Kind – mit der passenden Unterstützung – eine tiefe, traumatische Trennungserfahrung überwinden und in seine Lebensgeschichte integrieren konnte. Dieses Mädchen, ihre Eltern und wir alle, die sie auf diesem Weg begleiten durften, haben dabei so etwas wie ein „irdisches Ostern“ erlebt: eine Auferstehung aus einem tiefen Tal der Trauer – Zurück in ein kreatives, lebendiges Kinderleben. Ich bin überzeugt, dass diese Erfahrung, wen auch unbewusst, das ganze Leben dieses Kindes positiv prägen wird . Sie durfte gestärkt und getröstet aus dieser Erfahrung herauskommen. Schon so früh durfte ihr Organismus, ihr Nervensystem erfahren: Ich kann das überstehen. Ich kann etwas so Schmerzhaftes überwinden – und weitergehen. Diese Erfahrung hat mich gelehrt: Selbst tiefe Trennungsschmerzen können auch für Kinder heil werden – wenn sie liebevoll begleitet, gehalten und getröstet werden. So darf ihre kindliche Lebendigkeit wieder aufblühen. Und es wächst Hoffnung für eine gelingende Zukunft.
Ein Schlussgebet für alle Karfreitage des Lebens
Nun bin ich am Ende dieses Blogartikels angekommen und möchte zum Abschluss noch ein kurzes Gebet für uns schreiben
„Jesus hilf uns, gemeinsam im Glauben an die Auferstehungskraft durch all jetzigen und kommenden Karfreitage zu wandern und mutig den Sonnenaufgang zu erwarten!“
und ein passendes Gebet von dem US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Schreibe gerne deine Gedanken oder Anmerkungen in den Kommentar. Ich freue mich von dir meinem Leser zu lesen 😊
Herzlichst Karin